Kürzlich habe ich bei einem Gewinnspiel mitgemacht. Es gibt einen „Tolino“ von Thalia zu gewinnen. 2000 Bücher passen auf das kleine elektronische Lesegerät. Toll. Leider zu wenig Kapazität für alle Bücher, die in meinem Besitz sind. Für unterwegs, für Kochbücher oder um darauf Wissen zu speichern, finde ich Tolinos, Kindles & Co. jedoch super. Sollte ich also gewinnen, freue ich mich. Meine Bücher verkaufe ich trotzdem nicht. Im Gegenteil, es werden weitere dazu kommen. Und das hat einen Grund. In erster Linie geht es natürlich bei einer Geschichte um spannende oder gute Unterhaltung. Das können Romane auf einem eBook-Reader auch. Doch Bücher sind nicht nur in der Unterhaltungsbranche tätig, sie kommen aus dem Sektor Kunst und das bereits seit Hunderten von Jahren. Nicht allein die zwischen den Buchdeckeln enthaltenen Geschichten gehören einer Kunstgattung an, auch das Buch an sich ist eine handwerkliche Kunst, die leider ihre Faszination verloren hat, musste sich der Buchdruck doch den großen Auflagen und den technischen Errungenschaften unterwerfen, die eine hohe Nachfrage des Lesers befriedigen konnte.
Und doch:
Ein Buch zu drucken bedeutet und benötigt mehr als aus dem fertigen Manuskript ein eBook herzustellen. Damit meine ich nicht den Weg bis zum Druck oder zur Formatierung – Schreiben, Erarbeiten, Überarbeiten, Umstellen, wieder überarbeiten, Lektorat, Satz etc. gehört zu jeder Geschichte und jedem Roman dazu, unabhängig davon, ob am Ende ein elektronisches Werk oder ein dicker Schmöker dabei herauskommt.
Als ich heute über den alljährlichen Pfingst-Trödel in Remscheid ging – früh, denn ich suchte gezielt nach ein paar bestimmten Stücken – entdeckte ich auf einer Decke auf dem Boden liegend ein großes Buch. Ich wusste, entweder irrte ich mich oder der Verkäufer ahnte nicht, was er da anbot.
Goldprägung auf dem Buchdeckel. Goldschnitt rundherum. Zuerst dachte ich, es sei eine Bibel.
Es kommt dem relativ nahe, denn auf dem Boden lag Dr. Martin Luther’s Haus-Postille. Darin sind Predigten an den Sonntagen und wichtigen Festen des ganzen Jahres nach der alten Wittenberger Ausgabe enthalten. Erschienen ist das Buch im Jahre 1900 in Elberfeld bei den Gebrüdern Roth im Verlags-Institut für evangelische Litteratur. Das ist kein Schreibfehler. 1900 wurde Literatur noch mit zwei tt geschrieben.
Ich sammle bewusst nur antiquarische Märchen und ebenso alte phantastische Bücher. Doch religiöse Bücher sind meist sehr schön aufgebaut und mit Bildern und Vignetten verziert. So auch die Predigten von Dr. Martin Luther. Der Preis betrug ein Zehntel vom eigentlichen Antiquariatswert – da konnte ich nicht widerstehen.
Ich muss nicht religiös sein, um den Schatz dahinter zu sehen.
Das Buch misst 32 cm in der Höhe, ist 24 cm breit und 6,5 cm dick. Ein fetter Schinken, und mit 4,5 kg mächtig schwer.
Abgesehen vom Goldschnitt und der goldenen Prägung auf dem Buchdeckel hat der Verlag auf die damals üblichen Reize nicht verzichtet. Religiöse Zeichnungen dominieren natürlich in einem religiösen Werk. Auf allen 1180 Seiten befinden sich Vignetten. Abbildungen von religiösen Gemälden wie z.B. die Hochzeit von Cana ergänzen die Predigten. Diese Abbildungen sind auf dickerem, glänzendem Papier gedruckt, während der Text auf dünnem, pergamentartigem Papier gedruckt wurde. Dieses Papier ist – so steht es am Ende des Buches – holzfrei.
Wie schon erwähnt, stammt das Buch aus dem Jahre 1900. Es ist noch ein recht junges antiquarisches Werk, doch die imposante Größe
und das Gewicht überragen deutlich. In meinem kleinen Antiquariats-Regal gibt es deutlich ältere Werke, die aber leichter, jedoch nicht minder mit Vignetten und Bildern bestückt sind. Kunst eben.
Wie auch immer – dieses Buch ist 113 Jahre alt. Es liegt neben mir. Es hat ein paar Stockflecken, eine Seite ist etwas locker. Der Goldschnitt jedoch ist noch sehr gut intakt und auch der Buchdeckel sieht für sein Alter gut aus. Ich kann das Buch lesen. Doch welches Gerät wird in 113 Jahren mobi, epub und prc-Dateien lesen können? In welchen Computer passen heute noch 3,5″ Disketten, und wer hat heute noch einen Videorekorder im Wohnzimmer stehen?
Ich fürchte, eBooks sind eine praktische Ergänzung und wichtige Leseerfindung, aber kein Ersatz für den Buchdruck, der – handwerklich korrekt umgesetzt – Jahrhunderte überleben kann.