Warum darf ich nicht traurig sein?

Webseitenlogo_NR_grau150 Menschen sterben. Aus ihrem Leben gerissen. Kinder im Alter meines Sohnes. Babys – nur noch fähig zu einem Angstschrei in den letzten Sekunden ihres so kurzen Lebens. Frauen. Männer. Plötzlich. Ohne Warnung. Einfach so. Ich bin traurig. Entsetzt. Unfähig meinen täglichen Weg zu gehen. Ich starre auf die Berichterstattung. Ich will alles wissen. Ich will wissen, um zu verstehen, zu verarbeiten.

Doch schon wird im Netz von Heuchlerei, Medienhype und Sensationslust gesprochen.
Weitergehen heißt es da.
Sie gehen weiter, klopfen sich den Staub vom Schuh, wollen nichts wissen, nichts sehen, nichts hören und auch nicht darüber sprechen. „Passiert doch so viel in der Welt. Sterben doch täglich Menschen überall auf der Welt. War ja nicht mein Kind. Möchte ich mich nicht mit beschäftigen. Sorry.“ Okay. Trauert, lebt, verarbeitet wie ihr es braucht und könnt.

Aber lasst mir bitte meine Tränen.

Denn ich bin (mit)traurig und (mit)geschockt. Und wer nach einer Katastrophe innerhalb von wenigen Sekunden zur Tagesordnung übergehen kann, bitte. Ich kann es nicht. Aber ich lasse mir nicht vorschreiben, wann ich traurig sein darf. Ich weine, wenn es mir passt. Und jetzt weine ich um 150 Menschen – davon 72 Deutsche, 2 Babys, 16 Jugendliche im Alter von 15 und 16 Jahren, 2 Lehrerinnen, zwei Opernsänger. Menschen, wie du und ich.

Warum? Warum darf ich nicht traurig sein, wenn 150 Menschen, davon viele Kinder, so alt wie meine, nicht weit von hier entfernt sterben? Nur weil überall ständig auf der Welt Menschen getötet werden oder durch Unfälle umkommen? Nur deshalb darf ich jetzt nicht traurig sein? Ich bin es aber. Nicht, weil ich sensationsgeil bin, sondern weil ich mich vor manchen Katastrophen, Kriegen, Morden und Unfällen, dem Wahnsinn der Welt verschließe – verschließen muss. Und das sicher nicht, weil andere Menschen und deren Schicksale für mich bedeutungslos sind. Doch würde ich all diese katastrophalen Unfassbarkeiten, all den Schmerz auf der Welt an meine Seele lassen, wäre ich längst verrückt geworden.

Aber diese Katastrophe lasse ich jetzt an mich heran, weil mir die Menschen – die Verstorbenen wie die Angehörigen – auf empathische Weise und aus unterschiedlichen Gründen nahe stehen und ich den Hinterbliebenen damit zeige: Ihr habt mein tiefstes Mitgefühl!

Mach es wie die Gebrüder Grimm: Erzähl es weiter.