Rezension: »Nichts weniger als ein Wunder« von Markus Zusak / Limes Verlag 

»Nichts weniger als ein Wunder« von Markus Zusak / Limes Verlag 

Erster Satz: »Am Anfang gab es einen Mörder, ein Maultier und einen Jungen, aber noch sind wir nicht am Anfang, noch sind wir vor dem Anfang, und vor dem Anfang, da gibt es mich, Matthew, und ich sitze in der Küche, mitten in der Nacht – in diesem uralten Flussdelta des Lichts -, und ich tippe und hämmere unermüdlich.«

Ein langer Hooker – ein aussagekräftiger Einstiegssatz, der Lust auf mehr macht. Doch kann Markus Zusak mit dem neuen Roman an seinen, inzwischen auch verfilmten, Welterfolg »Die Bücherdiebin« (2005)  anknüpfen – vierzehn  Jahre später?

Als ich 2008 »Die Bücherdiebin« las, war ich überwältigt von der Sprachvielfalt, der Idee und der Geschichte, die der Tod – höchstpersönlich – erzählte. Ich habe geweint, nachdem ich das Buch beendet hatte – und war tief berührt.
Danach las ich »Wilde Hunde« und »Der Joker« von Markus Zusak, Geschichten, die der Autor vor »Die Bücherdiebin« veröffentlichte. Ich wurde zum Fan. Nun, endlich, ein neuer Roman.
Voller Vorfreude klappte ich den Buchdeckel auf und las die ersten Zeilen.

Über den Autor

Markus Zusak wurde 1975 in Sydney geboren und wuchs mit drei älteren Geschwistern auf. Seine Mutter ist Deutsche, sein Vater Österreicher. Mit sechzehn Jahren begann er zu schreiben. Die tragischen Erzählungen seiner Mutter über den 2. Weltkrieg inspirierten ihn zu »Die Bücherdiebin«.
Markus Zusak gehört zu den erfolgreichsten Jugendbuchautoren, obwohl seine Bücher auch, und unbedingt, für Erwachsene geeignet sind. Er lebt mit seiner Familie in Sydney, spielt gerne Fußball, surft und liebt Filme.

Ins Buch geschaut
Erster Eindruck

635 Seiten in einem schicken Hardcover mit Schutzumschlag und dunkelrotem Lesebändchen, soweit die äußerlichen Fakten zusammengefasst. Der Roman ist in mehrere Teile aufgesplittet, die Kapitel sind meist kurz und mit Überschriften versehen.

Der erste Satz ist großartig. Und dann wird es schwierig.
Nach den ersten 50 Seiten wirkt »Nichts weniger als ein Wunder« auf mich wie ein 635 Seiten langer Poetry Slam im Hardcover.
Das ist für mich ein Problem, denn Poetry Slams sind nicht mein Ding. Nun experimentiere ich selbst gerne zwischen den Buchdeckeln, ich schätze Autoren, die sich nicht dem Mainstream unterwerfen. Außerdem gelang es Markus Zusak, mich mit seinem letzten Buch emotional nachhaltig zu packen. Er hat eine weitere Chance verdient. 
Ich begann noch einmal von vorne und ließ mich auf die verkehrten Bilder, die rausgespuckten Ausdrücke, abgehackten Sätze und diese sprunghafte Handlung ein.

Zweiter Eindruck mit Spoiler

Das Buch ist in mehreren Handlungssträngen aufgebaut. Da wäre Matthew – der Ich-Erzähler -, der die Geschichte seiner Familie in Rückblicken erzählt.
Die zweite Handlung begibt sich an die Seite der Mutter Penelope, beginnend mit ihrer Flucht aus Österreich, als sie noch ein junges Mädchen war.
Michael Durban ist der Vater in diesem Buch. Wir lernen auch ihn kennen, als er noch ein kleiner Junge ist.
Und dann wäre noch der Handlungsstrang, auf dem zunächst der Schwerpunkt liegt. Hier werden alle vier Dunbar-Brüder vorgestellt, im Mittelpunkt Clay.

Diese Zeitstränge werden nach und nach zusammengeführt.

Als Prämisse der Geschichte würde ich den Bau einer Brücke bezeichnen – und zwar in mehrfacher Hinsicht. Der Vater, der einst die Familie verließ (und mehr), kehrt zurück und bittet seine Söhne darum, ihm beim Bau einer Brücke zu helfen. Zwischen den Zeilen wird schnell klar, dass es sich hier nicht nur um eine reale Brücke handelt, sondern auch um eine neue Verbindungsbrücke zwischen Vater und Söhnen.
Wer wird auf den Vater zugehen und mit ihm Stein um Stein die Vergangenheit hinter sich lassen, um gemeinsam Neues zu schaffen? Was ist den Brüdern zugestoßen, die ihren Vater „Mörder“ nennen?

All das wird an dieser Stelle nicht verraten.

Verraten möchte ich aber noch , dass Markus Zusak immer wieder kleine gesellschaftskritische Äußerungen einstreut und sich im Text auch an der feministischen Debatte beteiligt, die im Roman jedoch einige Jahre zurückliegt.

Zum Schreibstil

Auffallend ist, dass er sich unterschiedlicher Schreibstile bedient. Wenn er bei den Brüdern ist, fällt er in diesen rhythmischen Poetry-Stil mit kurzen Sätzen und Wortchaos. Für die Rückblicke wählt er einen eher flüssigen Erzählstil. Das unterstreicht die Gefühlswelt der einzelnen Protagonisten – erschwert aber das Lesen.

Seine eigenen Bildkreationen wirken – besonders auf den ersten 150 Seiten – wie reingeworfen. Dafür sind einige Textstellen Zeile um Zeile poetisch und lassen sich nur verstehen, wenn das Sinnbild deutlich wird. Hier heißt es: Konzentration und am Besten zwei Mal lesen. (z.B. S. 162).

Manchmal spricht er den Leser überraschend an, auch das wirft einen beim Lesen gern mal aus der Bahn.

Aber dann sind da noch die wirklich tollen Passagen (ab ca. S. 180 ff), bei denen ich dachte, warum nicht durchgehend so?

Fazit

Mit manchen Ausdrücken leitet Markus Zusak den Leser immer wieder in die Irre. »Nichts weniger als ein Wunder« ist kein Buch, das kurz vor dem Bettgehen gelesen werden sollte, denn wer nicht aufpasst, verliert hier schnell den Faden, den Markus Zusak kreuz und quer durch die Dunbarischen Familienepochen zieht.
Dabei deutet er sehr häufig nur an, führt selten aus und verlässt sich stark auf das Vorstellungsvermögen des Lesers.

Markus Zusak fordert seinen Lesern mit dem neuen Roman eine Menge ab. »Nichts weniger als ein Wunder« ist ein literarisch-poetisches Kunstwerk, und Kunst liegt im Auge des – in diesem Fall – Lesers.
Ich bin hin- und hergerissen zwischen großartig! und puh! In jedem Fall schwere Kost.

Markus Zusak
Nichts weniger als ein WUNDER
Originaltitel: Brigde of Clay
Übersetzung: Alexandra Ernst
Limes Verlag, Februar 2019
Hardcover, 640 Seiten
ISBN 3809027065
22,00 €

Auch als E-Book erhältlich.

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© Cover: »Nichts weniger als ein Wunder« von Markus Zusak / Limes Verlag

Vielen Dank an den Verlag für die Zusendung des kostenlosen Rezensionsexemplars.

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