Rezension: »Fahrenheit 451« von Ray Bradbury

cover-bradburyAls mein Sohn meinte, nach den Herbstferien liest er im Englischkurs Ray Bradburys »Fahrenheit 451«, und ob wir das Buch kennen würden, nickten wir – mein Mann und ich – und bestätigten: „Gutes Buch!“

Nun habe ich Ray Bradbury vor dreißig Jahren gelesen oder mehr. Im Regal steht »Fahrenheit 451« in verschiedenen Ausgaben – deutsch und englisch. Aus nostalgischen Gründen wählte ich die deutsche Ausgabe aus dem Jahre 1996, mit einer Übersetzung von Fritz Güttinger. Damals gab es noch eine Redaktion beim Heyne-Verlag, diese lag – Genre-Kenner – wissen das, beim 2015 verstorbenen Wolfgang Jeschke. 

Erster Satz (dt. / engl.)

Es war eine Lust, Feuer zu legen.

It was was a pleasure to burn.

Zum Buch

Der Titel

Aufmachung und Seitenzahl zu beschreiben, ist sinnlos. Denn von »Fahrenheit 451« gibt es zahlreiche Ausgaben und Neuauflagen. Meine Ausgabe aus dem Jahre 1996 (Heyne Verlag) hat 155 Seiten im Taschenbuchformat. Kein dicker Schmöker, hier wird nicht geschwafelt und auch nicht übermäßig geschönt.

Der Titel des Buches wurde glücklicherweise nicht übersetzt, Fahrenheit 451 sind genau 232,778 Grad Celsius.

Auf Facebook entstand eine kleine Diskussion über diesen Titel. Autor Karsten Kruschel erklärt, Ray Bradbury habe damals Fahrenheit mit Celsius verwechselt, was bedeuten würde, dass Papier erst bei 451 Grad Celsius brennt. Ein anderer widerspricht.
Nun, ich weiß es nicht und erspare mir auch die intensive Recherche.
Ich weiß nur, halte ich ein Feuerzeug an ein Stück Papier, brennt es. Und weil ich keine Bücher verbrennen möchte, mache ich das natürlich nicht.

Inhalt

Guy Montag, der übrigens auch im Original Montag heißt, ist Feuerwehrmann in einer unbekannten Zukunft. Die Feuerwehr löscht keine Brände, sondern legt Feuer überall dort, wo Bücher auftauchen. Bibliotheken? Verbrannt! Schulbücher? Verbrannt! Und wer ein Buch versteckt, wird u.U. mit verbrannt. Kollateralschaden. Häuser und Wohnungen sind mit Wänden ausgestattet, über die mit den Familien kommuniziert wird – sie sind bunt und laut und teuer in der Anschaffung.

(Vorsicht! Spoiler!)

Zu Beginn des Buches trifft Guy auf die siebzehnjährige Clarisse. Sie ist anders, neugierig, rebellisch. Das verwirrt ihn und das erste Mal seit Jahren stellt Guy seine Arbeit, seine Kollegen und das gesamte Regime infrage. Dann versucht seine Frau Mildred diesem sinnlosen Leben mit Schlaftabletten zu entkommen, der mechanische Spürhund scheint auf Guy programmiert worden zu sein und als Guy feststellt, dass Rebellen aus dem Weg geräumt werden, wird ihm klar: So darf es nicht weitergehen!
Er sucht Verbündete und stellt dabei fest, dass die Gesellschaft sich mit Oberflächlichkeit, fehlender Empathie und egozentrischem Verhalten zugrunde richtet. Doch sein Mut bringt ihn in Gefahr, und er verliert alles, wofür er einst gelebt hat.

Stil und Text

Stilistisch ist das Buch kein Vorzeigeobjekt, allerdings stammt die Übersetzung aus den Sechzigern (1963), das Original von 1953.
Schon auf der ersten Seite wusste ich nicht, ob ich beeindruckt oder entsetzt sein sollte. Erst, wer den Satz ein paar Mal gelesen hat, erkennt das Großartige dahinter.

„Das gelbe Strahlrohr in der Hand, die Mündung dieser mächtigen Schlange, die ihr giftiges Kerosin in die Welt hinaus spie, fühlte er das Blut in seinen Schläfen pochen, und seine Hände waren die eines erstaunlichen Dirigenten, der eine Symphonie des Sengens und Brennens aufführte, um die kärglichen Reste der Kulturgeschichten vollends aufzutilgen.“

Oder auf Seite 13 (in meiner Ausgabe):

„Er griff ins Handschuhloch seiner Haustür und ließ es seinen Druck spüren.“

Doch es finden sich auch Stellen, die aus unserem Jahrhundert zu stammen scheinen, so als habe Ray Bradbury schon damals gewusst, was auf uns zukommt, kommen könnte.

„Die Welt hat keine Zeit mehr füreinander“, sagt Clarissa in einem längeren Abschnitt (S. 26)

Nachfolgendes Zitat stammt von Guys Chef Beatty, der sich als Weltretter sieht und die überflüssigen Medien – Bücher – eliminiert und somit die Menschheit nach seinem Ermessen rettet. Beatty sagt überhaupt viel Wahres.

„Als die Dinge einen Zug ins Massenhafte bekamen.“

Die Botschaft

Mit wenigen Ausnahmen haben Klassiker eine Botschaft, auch wenn diese dem Autor beim Schreiben nicht bewusst gewesen sein muss.
»Fahrenheit 451« überzeugt nicht durch ein detailliertes Zukunftsbild oder einen großartigen Schreibstil. Ray Bradbury schuf einen zeitlosen Klassiker, dessen Inhalt an den vergangenen Krieg und eine mögliche Zukunft mahnt. Damals – 1953 – und heute – 2016 – immer noch, obwohl die von ihm prophezeite Zukunft bereits vor unserer Tür steht.

Parallelen

Wenn Guy das erste Mal für den Leser offensichtlich ein Buch klaut, fühlte ich mich an »Die Bücherdiebin« von Markus Zusak erinnert: Dieses Verstohlene, verbunden mit dem Bewusstsein, gegen das Gesetz zu handeln, ohne zu wissen, warum Bücher Schlechtes über die Menschheit bringen sollen. Diese innere Zerrissenheit verdeutlicht Markus Zusak mit Liesel auf emotionaler Ebene, Ray Bradbury baut weniger auf Emotionen, sondern auf Handlung, die nicht minder überrascht.

Fazit

»Fahrenheit 451« ist eine Erinnerung und eine Mahnung, eine Geschichte über uns Menschen, die vergessen zu (hinter)fragen und somit sich selbst und unsere Gesellschaft  in einen zukunfts-chaotischen Schlamassel stürzen.
»Fahrenheit 451« ist ein politisches Buch, aber – nach heutigem Standard – kein Science-Fiction-Roman mehr, diese Geschichte steht kurz vor der realitätsnahen Umsetzung. Erschreckend.
»Fahrenheit 451« ist aber auch eine Hommage an das Buch, an die Geschichte, das geschriebene Wort und an uns Schriftsteller, und euch Leser!

-.

Cover einer Ausgabe von August 2013
Ray Bradbury
»Fahrenheit 451«
Diogenes Verlag
Hardcover, 304 Seiten
ISBN 978-3257261042
10,00 €

 

Webtipps

© Cover: Die jeweiligen Verlage.
Buch / Bücher aus meinem persönlichen Bestand.

Mach es wie die Gebrüder Grimm: Erzähl es weiter.