Über Stephen King muss ich nicht mehr viel sagen. Ich lese seine Bücher seit 1985, bin ein Fan des alten Meisters und habe meine Schwierigkeiten mit seinen neueren Werken, in denen er aus meiner Sicht zu viel palavert.
Abgesehen von »Joyland«, eine Novelle bei der Stephen King nicht drumherum redet, sondern eine Geschichte erzählt, die mir noch heute im Kopf herumgeistert.
Leserin und Autor haben sich verändert. Doch ich versuche es immer wieder. Nostalgielesen nenne ich das.
Wie wird mir »Der Outsider« gefallen? Nostalgie, atbacken oder kann mich dieser King endlich mal wieder aus den Schuhen hauen?
Ins Buch geschaut
Spoiler!
750 Seiten im Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen. Die ersten Seiten lesen sich wie ein Thriller und wechseln zwischen Erzählstil und Drehbuch. Erzählt wird aus der Sicht der Polizisten, dann aus der des möglichen Mörders. Die einzelnen Verhöre und Zeugenbefragungen sind als reine Dialoge aufgebaut. Die Geschichte wird chronologisch erzählt und mit Datum markiert.
Der Roman beginnt mit einem bestialischen Mord an einem Jungen.
Schon auf den ersten Seiten wird der Verdächtige genannt und festgenommen: Coach Terry, verheiratet, zwei Kinder, bei allen beliebt, soll den Jungen getötet haben. Doch bei allen Verhören – Zeugen wie möglicher Täter – wird klar: Irgendwas stimmt hier nicht. Die Beweise bestätigen das.
Der zuständige Ermittler Ralph Anderson war sich seiner Sache sicher, doch dann stellt er alles infrage, auch sich selbst.
Stil & Umsetzung
Stephen King beleuchtet den Fall von allen Seiten, schlüpft in jede Rolle hinein und beobachtet die jeweiligen Situationen, als sei er ein Spion: Die Ermittler, den Täter, die Familie des Täters und des Opfers, der Anwalt und ein Privatdetektiv. Das macht den Roman komplex, nahezu authentisch, stellenweise langatmig. Doch Stephen King gelingt es, die einzelnen Personen und deren Familie mit in das Geschehen einzubeziehen. Keinen Moment zweifle ich daran, dass er irrt.
Und wenn du denkst, die Geschichte könnte vorbei sein, mit offenen Fragen, ja, aber dennoch ein Ende, hast du noch 540 Seiten vor dir und weißt: Jetzt geht es erst richtig los!
Manche Szenen beschreibt er so detailliert, dass du glaubst, jetzt passiert etwas Schreckliches. Doch Stephen King hat keinen Horror-Thriller geschrieben, der auf billige Tricks zurückgreifen muss. Er versucht in »Der Outsider« den alltäglichen Wahnsinn zu verstehen und bedient sich einem alten mexikanischen Märchen als Erklärung für das Unfassbare.
Hätte er beim Thriller bleiben sollen? Nein, denn dann wäre dieser Roman nicht von Stephen King gewesen.
Das Ende zieht sich ein bisschen in die Länge, hier hätten es gerne ein paar Seiten weniger sein können.
Kingsche Querverweise
Einmal wird Shining erwähnt. Ein paar bekannte Namen wie Dolores oder Bill Hodges tauchen auf und Holly Gibney spielt eine entscheidende Rolle.
Die Geschichte selbst erinnert mich an The Green Mile, obwohl sie aus einer anderen Sicht (und zu einer anderen Zeit) erzählt wird.
Fazit
»Der Outsider« ist eine komplexe Geschichte, die sich in ein katastrophales Drama verwandelt und nach dem ersten Drittel vom Thriller in das Übernatürliche kippt.
Dieser Roman ist ein Pageturner – und das habe ich bei Stephen King schon lange nicht mehr geschrieben. Top!
Und ich bin sicher, die Verfilmung wird nicht lange auf sich warten lassen.
Stephen King
Der Outsider
Originaltitel: The Outsider
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt
Heyne Verlag, Hardcover, 2018
ISBN 978-3-453-43984-9
26,00 €
Das Buch ist auch als Hörbuch, E-Book, MP3-CD und Taschenbuch erhältlich.
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© Cover: »Outsider« von Stephen King / Heyne Verlag