Rezension: »Das Einhörnchen das rückwärts leben wollte« von Walter Moers / Penguin Verlag

Märchen, in denen Tiere, die sprechende Hauptrollen spielen, bezeichnen wir als Fabeln.

Kurzgeschichten aus Zamonien über Fabel-Tiere, betitelt Hildegunst von Mythenmetz als Flabeln, was möglicherweise von fabulieren abgeleitet wurde. In jedem Fall präsentiert uns der zamonische Autor zwanzig Kurzgeschichten aus Zamonien, in denen Einhörnchen, Ubufanten, Beiwölfe oder Halbtagsfliegen eine Rolle spielen – aufgrund der makabren Thematiken meist nicht allzu lange. Die Flabeln sind mit zahlreichen S/W-Zeichnungen vom Mythenmetz-Übersetzer Walter Moers geschmückt und bieten auf 176 Seiten illustrierte zamonische Tiermärchen.

Ausstattung

Mit Schutzumschlag, Lesebändchen und einem Farbschnitt* schmiegt sich auch dieses Zamonien-Buch perfekt ins Regal zu den vorherigen Ausgaben. Aber was ist nun los in diesem zamonischen Wald mit all den seltsamen Wesen, die irgendwie anders sein wollen und damit nicht selten eins auf die Nase (oder Rüssel) bekommen?

Da wäre der Titelgeber des Buches Kelvin, »Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte«. Mit seiner Frau Thelma lebt Kelvin im Wald von Finsterberge. Aus einer wahnwitzigen Idee heraus, beginnt er sein Leben rückwärts, um so dem Tode zu entgehen. Seine Frau und alle Verwandten halten ihn für beschränkt. Und am Ende nimmt sein Leben kein gutes Ende.

„Make laugh, not war.“

»Der verantwortungsvolle Biber und der hinterlistige Kristallskorpion« arbeiten für unterschiedliche Kurierdienste und hatten es – wie das so ist – eilig. Dummerweise kreuzt ihr Weg ein Fluss, wo gestern noch keiner gewesen ist. Wer kommt als erstes hinüber und kann seine Lieferung abgeben? Ich verrate es nicht.

»Der Ubufant, dem nichts unmöglich war« erzählt von einem Ubufanten mit großen Ambitionen, die bei allen Nachbarn in Bergdorf auf taube Ohren und viel Sarkasmus stoßen. Aber der Ubufant gibt nicht auf und überrascht alle. Am Ende vor allem sich selbst.

»Der Beißwolf und das Schmiegehäschen« leben im Bauminger Forst. Yogurt, der Beißwolf ist ein böser, gewalttätiger Wolf. Aber das Schmiegehäschen ist böser.

»Der Birkenfuchs, der Schuhu und der Laubwolf« erzählt von einem betagten Birkenfuchs ohne Rente, der ständig auf der Suche nach Futter war, auf den Schuhu und dummerweise auch auf den Laubwolf trifft.

»Das Monokel des Zyklopen« erzählt von einem in die Jahre gekommenen Zyklopen, der mit Hör-,-Seh-, und Verstandsschwäche kämpfen muss. Dabei trifft er – (Rensmann-Leser*innen wissen jetzt mehr) – auf Niemand, der sich als Ameise entpuppt und einen Komplott mit des Zyklopen Ehefrau geschmiedet hatte.

»Der Werwolf, der ein Wiewolf sein wollte« heißt Werner und bekommt vom Wurzmännchen (Nicht verwandt mit dem Wurzelmännchen aus Rensmanns „Niemand“) einen Wunsch erfüllt. Allerdings muss er dafür drei Fragen beantworten. Tja.

»Die neun Dummwölfe und der Schlaufuchs« Die neun Dummwölfe brachen die Schule ab und schlugen sich mit Diebstahl und anderen Bagatelldelikten durch den Großen Wald. Ihr großer Coup: Sie stehlen zehn Schafe. Doch wie teilt man zehn Schafe durch neun Dummwölfe? Da kommt der Schlaufuchs ins Spiel, leider nicht lange.

»Die Blaufell-Lemminge und die Schwarzweißen Hermeline«, darunter Bingo und Mingo, Best-Lemminge-Friends, die sich in dieser Geschichte kräftig in die Wolle bekommen, während ihrer traditionellen Lemming-Tänze, und das knapp bei den Klippen, was allerdings diese Saison kein Problem darstellt, sehr wohl aber die Hermeline, an die Bingo so gar nicht glaubt.

»Die zweitausendjährige Schildkröte und die Halbtagsfliege« lernen sich eines Tages kennen. Die Schildkröte, weniger weise, mehr arrogant-geschwätzig und wenig empathisch, erzählt der Halbtagsfliege von ihrem langen Leben. Und wie alle zamonischen Geschichten endete auch diese nicht mit: Und sie leben glücklich und zufrieden. Obwohl… aber lies selbst.

»Die fleischfressende Pflanze, die sich vegetarisch ernähren wollte« stößt mit ihrem Wunsch eine heikle Diskussion in der Pflanzen- und Tierwelt Zamoniens an.

»Der Ubufant, der nur donnerstags war« philosophiert mit seiner Ubufantin über die Existenz. Das hätte er vielleicht besser lassen sollen.

»Die zwei Blattschneiderameisen« waren  Kumpels, vom Typ her sehr unterschiedlich, verlieren sich aus den Augen, die eine wird berühmt, die andere nicht. Das ist allerdings nicht die Moral der Geschichte, falls es überhaupt eine gibt.

»Die vier Musiktier« bestehen in Zamonien aus Hummel, Wespe, Glühwürmchen und Biene. Doch Streit und Kneipenschließungen haben die Trennung der Band zu folge. Sie fliegen ihres Weges, versuchen ihr Glück, finden es nur leider nicht alle.

»Die beiden Vampirgeierbrüder, die immer einer Meinung waren« sollten eigentlich flügge werden. Die Eltern freuen sich, doch die Brüder sind völlig anderer Meinung. Biodiversität, Flugangst und der ganze Kram hemmen die Vampirgeierbrüder das Nest zu verlassen. Tja, sie haben nicht mit ihren Eltern gerechnet.

»Ein Froschling macht noch keinen Sommer«, aber vielleicht ein schmackhaftes Gericht?

»Der Habicht, der alles und nichts haben wollte« und am Ende genau das bekam, was er glaubte.

»Der yhollisische Trollbluthund und die Kratze« sind befreundet, was ungewöhnlich in Zamonien ist. Noch ungewöhnlicher ist ein Hund mit Katzenohren und ein Happy End in diesem Buch. Diese Geschichte hat jedoch überraschenderweise eins.

»Die Silberne Witwe und ihr kleiner Gatte« führen ein Streitgespräch, bei dem Eifersucht und Mythen eine Rolle spielen. Das Ende ist hier vorprogrammiert.

»Der Buchling, der nur noch knoteln wollte« ist die letzte Geschichte im Buch. Wudlik suchte eine Veränderung und stieß dabei auf taube Ohren und viel Spott unter seinen Buchlingfreunden. Nicht entmutigt entwickelt er eine neue Kommunikationsform. Ob ihm das den nötigen Respekt verschaffen wird? Wer weiß?

In den zwanzig Flabeln werden bekannte zamonische Persönlichkeiten genannt, wie Rumo, beide zamonische Smeiks, Professor Nachtigaller oder Echo.

Im Nachwort erzählt Walter Moers über die Problematiken der Übersetzung eines humoristischen zamonischen Textes.

Im Anhang werden alle Zamonien-Romane vorgestellt, bebildert sind auch diese Seiten.

Fazit

Ein – wie gewohnt – schön aufgemachtes, illustriertes Buch mit zwanzig kurzweiligen Kurzgeschichten über zamonische Tiere. Kein erhobener Zeigefinger, wenig Moral – kleine Häppchen für Zwischendurch mit einer Überdosierung bitterschwarzen Humors, der nicht jedem Zamonienfan passen wird. Ich persönlich hatte meine Schwierigkeiten damit.

Web


Walter Moers
Das Einhörnchen, das rückwärts leben wolte
Hardcover mit Schutzumschlag, Lesebändchen, Farbschnitt oben
Penguin Verlag, 09/2024, 176 Seiten
ISBN 978-3328603429
28 €
* Die limitierte Ausgabe hat einen Farbschnitt. Ist diese vergriffen, folgt die Ausgabe ohne Farbschnitt mit der ISBN 978-3-328-60404-4

Vielen Dank an den Verlag Randomhouse / Penguin für die Zusendung des kostenlosen Rezensionsexemplars.

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