Rezension: »Alices Abenteuer im Wunderland« / Charles Robinson / Donnie Gonzalez / BOD

Alice, in den realen Disney Verfilmungen im heiratsfähigen Alter dargestellt, ist in der Ursprungsfassung ein kleines Mädchen. Lewis Carroll schrieb die Geschichten für Alice und Edith Liddell und gab Alice die Hauptrolle.
Den Inhalt muss ich sicherlich nicht erläutern. Ihre Abenteuer im Wunderland und im Spiegelland sind weltweit bekannt. Die Grinsekatze, der Hutmacher oder die Herzkönigin – „Ab mit dem Kopf!“ – sind Kult. Merchandising, Porzellan, Keramik oder Kleidung wird bis heute – 159 Jahre nach der Bucherstveröffentlichung im Jahre 1865 – verkauft. Der Hype um Alice und die wundersamen Wesen in einer traumhaften Welt sprechender Blumen, einer verrückten Teeparty oder einem nach der Zeit hastenden Hasen hört nicht auf.
Die Geschichte wird bis heute weltweit in allen Sprachen immer und immer wieder übersetzt und mit Grafiken namhafter Künstlerinnen illustriert.

Arthur Rackham (1907), Charlotte Strech-Ballot (1949) Ralph Steadmann (1967), Ingeborg Haun (1984), Albert Schindehütte (1993), Klaus Müller (1995), Lisbeth Zwerger (2007), Robert Ingpen (2009) oder Benjamin Lacombe (2016), um nur ein paar wenige Künstlerinnen zu nennen.

Lewis Carroll selbst illustrierte seine Geschichte über Alice. Für die Erstveröffentlichung im Jahre 1865 bat er John Tenniel seine Novelle mit schwarzweiß Illustrationen zu versehen. Die Berühmtheit des Illustrators war es jedoch nicht allein, dass „Alices Adventures in Wonderland“ zu einem Dauerbrenner in der Märchenwelt wurde. Es ist das kecke Mädchen mit unendlicher Phantasie, es sind die skurrilen Wesen, die Zweideutigkeiten und Wortspiele.

Das weltberühmte Märchen im Selfpublishing

Die vorliegende Ausgabe »Alices Abenteuer im Wunderland« ist 2024 bei BOD erschienen, initiiert vom Übersetzer Donnie Gonzalez.

„Diese Übersetzung ist der Versuch, den englischen Text aus seinem Viktorianismus des 19. Jahrhunderts nach Deutschland zu bringen“, sagt Donnie Gonzalez in seinem Nachwort.

Vor Gonzalez haben sich unzählige Übersetzer und Übersetzerinnen an Alice versucht und mit der Grinsekatze, dem Hutmacher und dem Märzhasen in der Märchenwelt nicht wegzudenkende Figuren geschaffen, obwohl diese Figuren in den unterschiedlichen Übersetzung oftmals verschiedene Bezeichnungen erhielten.

Antonie Zimmermann übersetzte in der ersten deutschen Übersetzung aus dem Jahr 1869 die Cheshire-Cat mit Grinsemieze (zumindest in den mir vorliegenden neuen – nicht als überarbeitet bezeichneten – Ausgaben).
Franz Zester (1949) macht die Katze zur Perser-Pussy. Wolfram Gramowski (1967) wählt die Bezeichnung Chinesische Katze, Lieselotte Remané (1967) nimmt die Grinsepussi, W.E. Richartz (1977) findet Edamer Kätzchen passend, ebenso wie Christian Enzensberger (1963) mit der Edamer Katze. Alexandra Marchl von Herwarth (1984): Grinsemiezekätzchen. Günther Fleming (2000) belässt es bei Cheshire-Pussi, wie auch Martin Karau (2005) mit der Cheshire-Katze.

Auch der Hase, mit dem Alice Tee trinkt, ist mal ein Märzhase, dann der Osterhase oder auch schon mal der Schnapphase. Laut Gonzalez finden sich in älteren Ausgaben anstelle des Hutmachers, ein Schuhmacher.

Hinweis: Lies auch den Artikel zum Thema Übersetzungen hier im Blog, u.a. mit Joachim Körber, Uwe Anton und zahlreichen weiteren Übersetzern und Übersetzerinnen, ursprünglich erschienen 2023 in der phantastisch! #90.

Warum also eine weitere Übersetzung?

Gonzalez‘ Wunsch war es – Zitat – “ […] anhand der vielen Publikationen deutscher Übersetzer und Übersetzerinnen der letzten hundert Jahre, eine eigene zu erschaffen, die ein Wunderland kreiert, dessen Nonsens hierzulande mühelos verstanden werden kann und (zukünftig) ohne Anmerkungen auskommen würde. Für jedes englische Element wurde ein deutsches Gegenstück gefunden, nicht als Versuch einer nationalistischen „Germanisierung“, sondern unter dem Aspekt einer handwerklichen Herausforderung, eines Experiments – dessen hier vorliegendes Ergebnis geglückt scheint […]“

Die inzwischen legendäre Grinsekatze – im Original Cheshire Cat – wird zur Honigkuchenkatze bzw. Honigmiez (S. 102). Anmerkung: Angelika Eisold-Vieling bediente sich der Honigkuchen-Mieze bereits in einer Übersetzung, die 1991 bei Bassermann erschien.
Der Bezug steht hier zum „Grinsen wir ein Honigkuchenpferd“ und zur Aussage der Gräfin „Wenn sich die Pferde über ihren Honigkuchen freuen dürfen, dann darf es meine Katze erst recht.“
Auch wenn die Grinsekatze inzwischen zum Wortschatz aller Alicefans gehört, ist hier – aus meiner Sicht – eine andere Übersetzung bezogen auf die Wortspiele okay. Suspekt finde ich die Streichung des Hutmachers.
Die mir vorliegenden englischen Ausgaben sprechen von „hatter“ – Hutmacher -, nicht jedoch vom Vogelhändler, den Gonzalez nun zum Tee bittet. Auch die Originalgrafiken von John Tenniel, die vermutlich mit dem Autor abgesprochen sein dürften, zeigen einen Hutmacher, keinen Mann, der mit Vögeln handelt.
Für mich ist der verrückte Hutmacher ein Indiz des 19. Jahrhunderts, denn in dieser Zeit bestanden die Nadeln eines Schneiders aus Blei. Wer damit sein Leben lang hantierte, bekam eine Bleivergiftung, was sich als eine Form der Persönlichkeitsveränderung oder von Halluzinationen äußerte.
Mit einem Vogelhändler, auch wenn dieser und die Teilnehmenden der Teeparty eine Meise haben, kann ich mich nur schwer anfreunden.

Die Anpassung der Gedichte und Verse fand ich ansprechend.

Ausstattung

Blaues Hardcover (Pappeinband) mit Lesebändchen. Cover mit weißer Grafik und Goldschrift. 216 Seiten mit über 100 Grafiken in S/W und einigen ganzseitigen farbigen Bildern. Die zahlreichen Illustrationen stammen von Charles Robinson (1870 – 1937).
Das Vorwort schrieb Allgemeinmediziner (a.D.) und Sammler Selwyn Goodcare, der mehr als 2000 Alice Ausgaben besitzt (ich bin ein bisschen neidisch). Selwyn Godcare war Vorsitzender der Lewis Carroll Society und publizierte das zum Verein gehörende Magazin. Außerdem veröffentlichte er 2013 „Alice’s Adventures in Wonderland – A Textual Commentary“.
Nachwort und Danksagung verfasste Donnie Gonzalez. Der Übersetzer lebt in Berlin, ist Theaterregisseur und schreibt zeitgenössische Dramatik.
Das Buch schließt mit Kurzbiografien über Lewis Carroll, Charles Robinson, Selwyn Goodcare und Donnie Gonzalez.

Fazit

Die Aufmachung des Buches ist – im Rahmen von BOD – ansehnlich. Schutzumschlag, Leineneinband, Glanzbilder und Prägedruck wären für dieses Buch perfekt, aber verständlicherweise zu teuer. Hervorzuheben sind die Grafiken von Charles Robinson, die in aktuelleren Ausgaben keine Verwendung finden. Die von ihm illustrierte Originalausgabe von »Alices Adventures in Wonderland« ist nur selten zu finden, außerdem unbezahlbar. Darum ist es schön, seine Kunst in diesem Band bewundern zu können. Erwähnen möchte ich die ambitionierte Arbeit von Donnie Gonzalez und die Tatsache, dass er sich einen Herzenswunsch erfüllt hat, dafür muss er schon ein bisschen verrückt sein. Wir sind hier alle verrückt!
Ob die Übersetzung nun gefällt oder nicht – das musst du selbst entscheiden. So oder so ist es einerlei welchen Weg du gehst, sagt die Grinsekatze / Honigkuchenkatze. Nur lesen solltest du eine Alice-Ausgabe in jedem Fall.


Lewis Carroll
Alices Abenteuer im Wunderland
Hrsg. / Übersetzer: Donnie Gonzalez
Illustrationen: Charles Robinson
BOD, 2024
Hardcover, Lesebändchen; 216 Seiten
ISBN 9783759779359
32 €

Vielen Dank an BOD für das Rezensionsexemplar.

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