Wenn dich ein Musical so begeistert, dass du am Morgen nach dem Event vergisst deine Schuhe anzuziehen und mit Hausschuhen einkaufen fährst…
Musical – (kl)eine Welt, die den Alltag vergessen lässt
In den vergangenen Jahren habe ich einige Musicals gesehen – auf großen und auf kleinen Bühnen. Mein Lieblingsmusical blieb. Die Kulisse, die Kostüme, die Stimmen, die Musik, die Idee, die Story, stammte sie doch von Walter Moers. An das – außer meiner Sicht – verkannte Musical Die 13 1/2 Leben des Käpt’n Blaubär reichte kein anderes heran.
Das hochgelobte Phantom der Oper konnte mich nicht vom Sitz reißen, was möglicherweise damit zusammenhing, dass der Hauptdarsteller erkrankt war und der Zweitbesetzung jegliche Emotion in der Stimme fehlte.
Die Schöne und das Biest präsentierte großartige Kostüme und ein einzigartiges Bühnenbild, doch die Künstler sprachen und sangen mit starkem Akzent, sodass es ein hohes Maß an Konzentration erforderte, um alle Worte zu verstehen.
Sister Act oder Wicked – beide toll! Keine Frage.
My fair Lady, Jekyll & Hyde, West Side Story, Der kleine Horrorladen, Mozart-Superstar, Faust – die Rockoper, Die 10 Gebote … sie hatten alle ihre Highlights, aber hier und da auch Schwächen.
Tarzan – Das Musical
18.00 Uhr – wir betreten den Zuschauerraum des Metronom Theaters in Oberhausen. Die Plätze sind schnell gefunden. Anders als viele der Zuschauer, schweigen wir, schauen uns um, machen uns gegenseitig – wir sind fünf – aufmerksam auf die Kulissen rechts und links außerhalb der Bühne. Wir lesen die sich stetig wechselnden Logbucheinträge des Kapitäns des Schiffes, auf dem Tarzans Eltern mitsamt Baby unterwegs sind, nehmen die um viertel nach sechs einsetzenden Trommeln wahr. Diese Anfangsmusik steigert sich, weitere Geräusche – Meeresrauschen, ein Summen – ergänzen die Buschtrommeln. Das auf die Bühne projizierte Bild beginnt sich zu verändern.
Ich erinnere noch mal: Die Show hat eigentlich noch gar nicht begonnen!
18.30 h – Jetzt geht es los! Die Musik schwillt an und entlädt sich in Blitz und Donner. Wer noch ein Nickerchen gemacht hat, ist jetzt wach und wird es bis zum Ende bleiben.
Mir laufen die ersten Tränen über die Wange – wie immer reagiere ich emotional, wenn der Vorhang fällt und die Show beginnt. Das legt sich normalerweise, doch diese Show ist nicht normal und ich bereue die Wimperntusche.
Die Story
Jeder kennt die Story von Tarzan, dessen Eltern nach einem Schiffsunglück im Dschungel strandeten und dort von einem Leoparden getötet wurden. Eine Gorillamama rettet das Baby und zieht es wie ihr eigenes Kind auf. Doch irgendwann muss sich Tarzan zwischen seiner Affenfamilie und seiner Herkunft entscheiden. Anders als im Originalbuch von Edgar Rice Burroughs, aus dem Jahre 1912, gibt es bei der Disney-Version ein Happy End.
Die Musik zum Musical gibt es natürlich auch – auf CD und mp3. Läuft im Hintergrund. Die Sänger auf der Bühne gefielen mir besser.Ein Baby für Phil Collins
Musik und Liedtexte stammen von Phil Collins. Das Tarzan-Musical ist sein Baby, sagt er selbst. Darum ließ er es sich auch nicht nehmen, beim ersten deutschen Casting dabei zu sein.
Tarzan ist das einzige Musical, für das Stage Entertainment zusammen mit SAT 1 ein Casting im TV veranstaltete. »Ich Tarzan, du Jane!« lief Anfang 2008 und castete die erste Besetzung.
Schon damals wusste ich: Das muss ich sehen! Es sollten jedoch neun Jahre vergehen, bis das Musical in einer Stadt aufgeführt werden sollte, die für mich erreichbar sein würde.
Die Show
Gibt es ein Wort für diese Show? Ultimativ, genial, großartig, einzigartig, hervorragend, congenial, phänomenal, spektakulär… ich könnte ein Buch voller Superlative darüber schreiben.
Hier passt alles!
Der erste Akt erzählt vom Schiffbruch auf eine perspektivisch verschobene Art und Weise – großartig.
Verrückte Affen hüpfen aus der Dunkelheit, schwingen an Lianen durch den Zuschauerraum. Überhaupt sind Seile ein wichtiger Bestandteil an diesem Abend, denn ohne Sicherung geht keiner der Darsteller in die Lüfte. Und in der Luft ist ständig irgendwer.
Die Darsteller sind für uns zum Greifen nahe. Mehrfach landen sie direkt neben uns oder bleiben im Gang stehen – wir haben die perfekten Sitzplätze!
Die Stunden vergehen viel zu schnell, es fühlt sich an, als wären wir mittendrin in Tanz, Akrobatik und Gesang – mitten im Dschungel.
Wiederholt dachte ich an diesem Abend, ich hätte klatschen müssen, doch ich war so fasziniert, so gebannt von dem Geschehen auf der Bühne und um mich herum, dass eine lautstarke Bekundung meiner Begeisterung nur die Atmosphäre gestört hätte. Und ich glaube, allen anderen Zuschauern ging es genauso.
Die Darsteller
Der Hauptdarsteller Alexander Klaws sollte an diesem Abend Tarzan spielen. Darauf hatten wir alle gehofft.
Alexander Klaws Karriere verfolge ich seit DSDS (RTL). 2003 gewann er die Castingshow und ich will behaupten: Er ist seinen Weg gegangen, hat aus Fehlern gelernt, er hat gekämpft, hart an sich gearbeitet und auf großen Bühnen stehen dürfen. Zurecht.
Bei Let´s Dance tanzte er sich 2014 an die Spitze – grandios.
Nun also Tarzan. Ein Kraftakt, der ihm nicht anzusehen war, abgesehen von den Muskeln. Geniale Leistung in allen Bereichen: Schauspiel, Gesang, Akrobatik, Bewegung.
Und das Beste: Er war nicht allein. Denn was nützt der beste Hauptcharakter, wenn der Rest des Ensembles nichts kann. Keine Sorge. Die können alle was und harmonieren perfekt zusammen. Auch hier schwelge ich nur in übertriebener Begeisterung. Ich kann nichts daran ändern.
Thorsten Ritz, der zwar nur eine kleine Rolle als Janes Vater spielte, war herrlich ausdrucksstark und witzig. Davon hätte ich noch mehr sehen können.
Patrick Imhof als Clayton – der Trump im Dschungel. Er wirkte nicht aufgesetzt oder übetrieben.
Massimiliano Pironti spielte Terk, den Affen-Freund von Tarzan. Ich bin sicher, ich habe ihn schon mal irgendwo gesehen. Sehr genial: Tanz, Gesang, Akrobatik. Der hatte richtig Spaß auf der Bühne. Toll!
Lucius Wolter stellte Kerchak dar, den Anführer der Affenbande. Ein böse grollender, grauhaariger Gorilla. Top!
Karolien Torensma – die Mama Kala. Eine starke Mama. Wunderbar!
Petra Ilse Dam als Jane. Tolle Stimme! Tolle Frau! Passt perfekt in die Rolle!
Und nicht zu vergessen den kleinen Tarzan. Diesmal von Jonathan Schmitt dargestellt. Mutig, klare Stimme. Ein kleines Talent.
Tarzan ist das spektakulärste, best inszenierte Musical, das ich je gesehen habe!
Die Affen rasen durch den Wald
Tarzan und seine Affenbande bewegten sich – im Rahmen der anatomischen Möglichkeiten eines Menschen – wie ein Affe voran. Standen sie auf den „Hinterbeinen“, blieben die Knie gebeugt, die Füße weit auseinander gestellt. Und bewegten sie sich auf allen Vieren voran, gingen sie auf den Fingerknöcheln. Hier wurden die Menschen zum Affen!
Ich glaube, alle müssen in den ersten Wochen der Vorbereitung Muskelkater gehabt haben, an Stellen, an denen keiner Muskeln erwartete.
Ein außergewöhnliches Musical – ohne Zweifel auch für die Darsteller.
Bühnenbild, Kulisse, Kostüme
Die Bühnenbilder stecken voller Ideen, das Musical findet nicht nur vorne, sondern auch an den Seiten und im gesamten Zuschauerraum statt. In einzelnen Szenen werden Bäume, der Dschungel oder die Wasserfälle mit Tüchern dargestellt und mit der entsprechenden Geräuschkulisse untermalt. Und ich meine sogar, als Tarzan seiner Jane einen Strauß Blumen überreicht, den Duft von Flieder gerochen zu haben.
Die Kostüme? Wow! Gut, Tarzan trägt nur einen Lendenschurz, aber da wären ja noch der Leopard, die tanzenden Blumen, der Schmetterling und der Falter. Und die Affen nicht zu vergessen.
Was soll ich sagen? Schau es dir an!
Fazit
Bei Tarzan – Das Musical passte alles: Die Stimmen, die schauspielerische Leistung, das Bühnenbild, die Musik, die Ausarbeitung, die Aktionen auf der Bühne und im Zuschauerraum. Hier ist die Liebe zur darstellenden Kunst spürbar, von jedem Einzelnen, der an diesem Musical mitgewirkt hat.
Für mich das beste Musical ohne Wenn und Aber. Eins, das ich mir in jedem Fall noch mal ansehen würde.
Vielen Dank an das Ensemble für diese herausragend großartige Show! Ich kriege Tränen in den Augen, wenn ich daran zurückdenke. Und schlimmer: Sehnsucht, noch einmal in den Dschungel zurückzukehren.
Mein Tipp: Geh nicht erst kurz vor Beginn auf deinen Platz, sondern sobald die Türen des Zuschauerraums, meist eine halbe Stunde vorher, geöffnet werden. Du könntest sonst ein Erlebnis verpassen.
Im Web
- Mehr zum Musical
- Webseite Alexander Klaws
- Video auf youtube (Probe)
- Video auf youtube (Ausschnitt)