Kürzlich habe ich mich an einer Umfrage beteiligt, in der ich gefragt wurde, ob ich glaube, Blogger seien die besseren Journalisten. Ich beantwortete nach einer kurzen Überlegung mit: „Nein!“ Ein richtiger Journalist muss besser als ein Hobby-Blogger sein, so dachte ich. Aber was ist ein richtiger Journalist? Oder anders: Wo sind die richtigen Journalisten? Die Frage ließ mich nicht los.
Heute würde ich die Frage, ob Blogger die besseren Journalisten sind, mit „Ja!“ beantworten. Und die Begründung kommt direkt hinterher:
Journalismus deckt auf, ist ehrlich und korrekt. Journalisten recherchieren und arbeiten mit Idealismus und Hingabe. Denn das Tagesgeschehen kombiniert mit dem Wort ist ihre Welt. Journalisten sind weltoffen. Sie überraschen und informieren. Mich. Den Bürger. Die Menschen. Die Welt. Journalismus sollte ein Vorbild sein – inhaltlich und textlich.
Doch stimmt diese Idealvorstellung mit der Realität überein?
Lese ich die Presse – online – oder blättere ich in der Tageszeitung, finde ich Tipp- und Rechtschreibfehler. Ich sehe Fotos, die nicht zum Artikel gehören, stolpere über sprachliche Defizite und entdecke Texte, die mithilfe von Content-Agenturen und anonymen Autoren geschrieben wurden – gegen kleines Geld. Nicht selten zweifle ich Berichte an, die von Themen handeln, mit denen ich mich auskenne und darum weiß: »Das stimmt so nicht.«
Journalismus heute ist fehlerhaft, schlecht recherchiert, mühselig entstanden. Kein Idealismus, kein Herzblut, kein wahres Wissen. Natürlich nicht immer, aber leider viel zu oft.
Der Blogger bloggt aus Spaß am Schreiben und über Themen, die ihm liegen, die er mag, die ihn interessieren, für die er sich weiterbildet, über die er sich informiert und zu denen er recherchiert. Autodidakt. Sicher, nicht alle Blogger sind Poeten, studierte Germanisten oder von Beruf Autor, aber viele haben einen hohen Anspruch an ihre Einträge – inhaltlich und textlich.
Nicht alle können Grafiken selbst erstellen oder Fotos knipsen, die preisverdächtig sind. Und doch entstehen sie passend zum Artikel. Unikate.
Auch hier gilt: Natürlich nicht immer, aber oft und im Idealfall.
Klar, es gibt Blogger die Texte anderer klauen oder die viele Tippfehler machen. Es gibt Blogger, die lassen ihre Texte auch bei Content-Agenturen schreiben und geben sie für die ihren aus. Es gibt auch Blogger, die keine eigenen Ideen haben, die Kreativität anderer stehlen und daraus tolle Einträge produzieren, weil sie das Handwerk Schreiben perfekt beherrschen. Das gibt es alles. Bei Bloggern, aber auch bei Journalisten.
Nur der Journalist – freiberuflich oder nicht – hat einen Job zu erledigen, für den er bezahlt wird – und darum erwarte ich von ihm mehr.
Als ich früher Interviews für das Magazin phantastisch! geführt habe, ging dem Entwickeln der Fragen eine intensive Recherche über die jeweilige Person voraus. Und nicht nur für ein möglichst personenspezifisches Interview habe ich recherchiert – den Interviews habe ich immer eine Vita vorangestellt, die ich aus all den gefundenen Daten zusammen gestellt habe. Das ist – aus meiner Sicht – ein Muss, für alle, die in diesem Bereich ihr Geld verdienen wollen. Aufforderungen wie »Bitte stellen Sie sich erst einmal vor!« zeigen nur, dass der Fragende sich Zeit und Recherche ersparen will. Schade. Denn erst durch diese Recherchen lerne ich meinen Interviewpartner richtig kennen und häufig schätzen. Aber es geht nicht um mich. Es geht um Blogger und Journalisten im Großen, im Kleinen und vor allem im Allgemeinen.
Klicke ich mich durch die Welt der Blogger und surfe ich dann auf den Seiten der Tageszeitungen, dann stelle ich eine ähnliche Themenwahl fest – und nicht selten sind die Blogeinträge besser. Doch nicht nur das: Ich habe Blogs gesehen mit tollen Designs und wunderbaren Ideen, echten und gefühlsbetonten Texten – da fehlt mal ein Komma (hier auch immer mal wieder) und ein e am Ende eines Wortes (passiert mir auch gern) – aber na und? Kein Lektor, kein Korrektor, dafür Beiträge, die für die Welt wichtig sind und die Leser interessieren. Authentisch. Ehrlich. Menschlich.
Kürzlich entdeckte ich sogar die Ankündigung eines großen Magazins, das nun dem Trend Food-Blog folgt. Der Journalismus beobachtet die Welt der Blogger. Soso.
Es ist mir egal, wenn die Journalisten meckern, sie seien schlecht bezahlt. Das bin ich auch. Auch Blogger bekommen für ihre Einträge kein Geld. Bis die VG-Wort-Marke überschritten ist, dauert es ewig, und meist erreicht der Eintrag die geforderte Klickzahl gar nicht erst. Affiliate? Null bis Cent-Sache. Auch das war mal anders.
Ich akzeptiere auch keine Ausreden, die Zeit zur Recherche sei so knapp, weil der Abgabetermin im Nacken sitzt und das Thema uninteressant war. So ist das bei einem bezahlten Job. Doch wo bleibt der Anspruch an sich und seine Arbeit? Auf der Strecke?
Die Idealvorstellung des Journalisten gibt es so nicht mehr. Geld. Zeit. Marketing. Wegrationalisierung. Das Übliche eben. Schade. Denn das macht Blogger zu den besseren Journalisten. Manchmal. Oft. Nicht immer.
Die Zeiten ändern sich. Die Vorbilder auch.
Ein ergänzendes P.S:
Petra Hartmann wies mich auf Facebook auf ein anderes Problem hin: Die Presse selbst sei es, die keinen Wert mehr auf guten Journalismus legt. So berichtet Matthias Spielkamp in seinen Blog auf die Defizite in der Branche hin.
Wie war das noch mit den Anrufen: Wollen Sie die Zeitung gratis abonnieren – 14 Tage kostenlos? Nö, will ich nicht. Ich lese lieber den Blog Ihres Ex-Journalisten Mr. So. Da weiß ich, was ich hab.
Stoff für die nächste Kolumne satt.
© Grafiken, Fotos, Text: Nicole Rensmann
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