In der 27. phantastisch!-Ausgabe, die im Juli 2007 erschien, führte ich ein Interview mit dem sehr sympathischen Wolfgang Jeschke.
»Ich bin ein rundum glücklicher Mensch …«
Ein Interview mit Wolfgang Jeschke von Nicole Rensmann
Geboren wurde er in Tetschen, der ehemaligen Tschechslowakei. Doch er wuchs in Asperg bei Ludwigsburg in Württemberg auf, dort schloss er die Schule mit der Mittleren Reife ab, ließ sich von 1953 – 1956 als Werkzeugmacher ausbilden und arbeitete schließlich im Maschinenbau.
Eher unspektakulär beginnt die Biografie des am 19. November 1936 geborenen bekannten Lektors, Herausgebers und Autors. Seinen Namen hat jeder schon einmal gelesen, der einen Science Fiction Roman aus dem Heyne Verlag in den Händen gehalten hat.
Seinem unerschöpflichen Einsatz für das Science Fiction Genre, seinen von Kritikern und Kollegen gelobten Werken und seiner Tätigkeit aus Herausgeber und Lektor hat Wolfgang Jeschke zahlreiche Auszeichnungen zu verdanken.
Seine Vorliebe für Literatur und Sprache vertiefte er, nach dem er 1959 das Abitur nachholte und Germanistik, Anglistik und Philosophie an der Universität München studierte. Parallel dazu absolvierte er ein Praktikum in der C.H. Beck´schen Verlagsbuchhandlung. 1969 arbeitete er noch als Redaktionsassistent, doch rasch stieg er zum Redakteur bei Kindlers Literaturlexikon auf und gab bis 1971 die Science Fiction Reihe für Kenner im Lichtenberg Verlag heraus. Obwohl er zwei Jahre später – 1973 – zum Heyne Verlag wechselte, blieb er dem Kindler Verlag bis 1979 treu. Dort arbeitete er als Redakteur an der biografischen Enzyklopädie »Die Großen der Weltgeschichte«.
Beim Heyne Verlag gab er zunächst ab 1973 zusammen mit Herbert W. Franke die Science Fiction Taschenbuch Reihe heraus. Ab 1977 wurde er verantwortlicher Lektor und – nachdem Herbert W. Franke den Verlag zwei Jahre später verließ – blieb Wolfgang Jeschke alleiniger Herausgeber.
Ferner gab er den Science Fiction Story Reader, so wie die Titan-Serie heraus und zahlreiche weitere Serien und Anthologien und betätigte sich auch als Übersetzer. In all den Jahren scheute er sich nicht auch deutsche Autoren eine Chance zu geben und sich neben seiner professionellen Tätigkeit für das Science Fiction Fandom einzusetzen.
2002 verließ er den Heyne Verlag und konzentrierte sich vollends auf seine schriftstellerische Karriere.
Dabei schrieb er schon während seiner Ausbildung Geschichten.
Erste Veröffentlichungen erfolgten, u.a. in dem von Walter Ernsting herausgegebenen Utopia Magazin. Viele seiner Storys wurden ins Englische, Französische, Niederländische, Spanische und Polnische übersetzt. Seine Storysammlung »Der Zeiter« erschien 1970 beim Lichtenberg Verlag, 1978 folgte eine erweiterte Ausgabe. Der Shayol Verlag brachte im November 2006 die Neuausgabe heraus. »Der Zeiter« beinhaltet Wolfgang Jeschkes Frühwerke von 1955-1961 und 1957-1970. Weitere Bände sollen, laut Verlagsseite, folgen.
Nach zahlreichen Kurzgeschichten folgte 1981 der erste Roman. »Der letzte Tag der Schöpfung« wurde mit dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet, 2005 im Heyne Verlag neu aufgelegt und mit einem neuen Vorwort von Frank Schätzing ergänzt.
2003 brachte er gemeinsam mit Rainer Eisfeld den Band »Marsfieber« (Droemer) heraus. In diesem 272 Seiten umfassenden Bildband beweist Jeschke einmal mehr, dass seine Lust an der Science Fiction weit tiefer und wissenschaftlicher verwurzelt ist.
Für seinen letzten Roman »Das Cusanus Spiel«, der als Hardcover bei Droemer/Knaur 2005 erschien, und den Wolfgang Jeschke über einen Zeitraum von acht Jahren schrieb, erhielt er sowohl den Deutschen Science Fiction Preis 2005, als auch den Kurd-Laßwitz-Preis 2005.
Seine Aussage zur Science Fiction scheint einer der treffendsten Erklärungen der Utopie zu sein:
»Science Fiction ist Ausdruck von Wünschen und Ängsten. Sie ist das Ausfabulieren von erhofften oder befürchteten Ereignissen, die zur Zeit ihrer Darstellung in der Realität nicht stattfinden konnten, weil sie auf historischen oder wissenschaftlichen oder technischen Voraussetzungen aufbauen, die nicht gegeben waren, deren Eintreten zwar nicht notwendigerweise zu erwarten, aber immerhin möglich war, weil sie nicht im Widerspruch zum geltenden wissenschaftlichen Weltbild standen.«
Heute lebt Wolfgang Jeschke in München.
Obwohl er sich von einer schweren Operation erholen musste, stand er Ende Februar für ein Interview zur Verfügung. Auf diesem Wege wünscht phantastisch! weiterhin gute Besserung!
Nachtrag 11.06.2015 – Wolfgang Jeschke starb im Alter von 78 Jahren am 10.06.2015
In Ihrer Zeit als Lektor und Herausgeber haben Sie mit zahlreichen Autoren zusammengearbeitet. Gibt es ein Zitat, das Ihnen spontan zu diesem meist sehr sensiblen Völkchen einfällt? Oder ist Ihnen eine Begegnung speziell in Erinnerung geblieben?
Natürlich bin ich in den 35 Jahren meiner Science Fiction-Herausgebertätigkeit Dutzenden von Autoren begegnet, habe mit Ihnen über Science Fiction im Allgemeinen, über ihre Projekte im Besonderen und über alle möglichen Fragen und Hypothesen diskutiert, aber speziell in Erinnerung geblieben ist mir eine Begegnung mit Donald A. Wollheim, langjähriger und erfolgreicher Herausgeber der legendären Science Fiction – Reihe bei ACE Books (später gründete er einen eigen Science Fiction -Verlag: DAW Books). Die Begegnung fand irgendwann Mitte der Siebzigerjahre statt, und sie ist mir deshalb bis heute in Erinnerung, weil mich das Gespräch unsanft aus dem Wolkenkuckucksheim meiner Science Fiction – Begeisterung stieß. Ich landete mit der Nase in der verlegerischen Praxis, und es war eine über die Maßen ernüchternde Erfahrung. Er sah, dass Texte von mir auf Englisch erschienen waren, und prophezeite mir: Wolfgang, du wirst in Amerika keinen Erfolg haben. Du hättest sollen ein Pseudonym wählen. – Weshalb? – Weil du einen osteuropäischen Namen hast. – Das ist ein deutscher Name. – Von mir aus, aber er klingt osteuropäisch. Jeder Einkäufer einer amerikanischen Buchhandelskette wird sagen, wir brauchen keine Bücher von diesen Shit-kommunistischen Autoren, wir haben hier in den USA genügend gute Boys, die gute amerikanische Science Fiction schreiben. Wir brauchen so einen Scheiß nicht. – Aber ich bin kein kommunistischer Autor. – Er lachte. Mach ihnen das klar. Nein, es hat keinen Sinn. Die denken, wenn sie so einen Namen sehen, das kann nur einer aus dem Ostblock sein. Glaubst Du, ich würde je etwas von den Brüdern Strugatzki herausgeben?
Die können noch so gute Romane schreiben. Keine Chance!Ein patriotischer LKW-Fahrer lässt glatt die Palette mit den Büchern auf der Rampe der Druckerei stehen, wenn er diesen Namen sieht. Keine Chance, glaub mir. – Das war eine schonungslose Einführung in die Praxis des amerikanischen Verlagswesens und seiner patriotischen Zensur in den Lektoraten (unfreiwillig) und der Distribution (freiwillig). Daran hat sich in der
Zwischenzeit möglicherweise einiges geändert in den letzten drei bis vier Jahrzehnten, aber sicher nicht viel. Für mich war es eine ernüchternde und heilsame Erfahrung.
Sie gaben zahlreiche Science Fiction Reihen heraus und arbeiteten mit vielen Kollegen zusammen. U.a. fungierten sie gemeinsam mit Herbert W. Franke ab 1974 als Herausgeber der Science-Fiction Taschenbuch-Reihe beim Heyne Verlag. Herr Franke verließ 1979 den Verlag, arbeitete wieder bei Goldmann und konzentrierte sich später vollends auf seine schriftstellerische Karriere. Haben Sie es jemals bereut, dass sie nicht vorzeitig die Tätigkeit als Herausgeber oder Autor sekundärer Texte beendeten, um nur noch als Romanschriftsteller zuarbeiten?
Ich habe immer gern Science Fiction herausgegeben. Das ist eine interessante, vielseitige und anregende Tätigkeit. Außerdem war es eine finanzielle Notwendigkeit. Als Autor hätte ich buchstäblich nicht das Salz in die Suppe verdient. Ich bin kein Vielschreiber. Ich arbeite langsam, recherchiere viel und sorgfältig und muss die Dinge in der Regel lange reifen lassen, bis ich sie zu Papier bringe. Ich habe zwar immer gute Besprechungen geerntet mit meinen Büchern auch etliche Preise eingeheimst, aber ich hätte nie meinen Lebensunterhalt mit Schreiben bestreiten können. Die Erlöse waren kläglich. Wissen Sie, wie viel ich mit »Das Cusanus Spiel« bisher verdient habe? Was schätzen Sie? Ich habe es kürzlich einmal ausgerechnet. Wenn ich die Recherchen (ohne Reisekosten, nur den Zeitaufwand) und die Arbeit am Text zugrunde lege, sind es nach Abzug der Steuern unterm Strich etwa 30 Cent pro Stund! Nun, es besteht Aussicht auf eine amerikanische und eine französische Ausgabe, aber das sind bisher nur Versprechungen ohne vertragliche Substanz. Was ich in beiden Fällen zu erwarten hätte, wären (wegen der hohen Übersetzungskosten ca € 2000. Nach Abzug des Verlagsanteils und des Anteils des Agenten verbleiben ca € 1100. Nach Steuern ca € 750. Aber das sind, wie gesagt, bisher nur Versprechungen. Sie sehen, es gehört eine Menge Begeisterung und Idealismus dazu. Ich will nicht jammern, aber so ist die Lage. Trotzdem macht mir das Schreiben Spaß, sonst würde ich es ja nicht tun.
In diesem Jahr, am 14.05.2007 feiert Herr Franke seinen achtzigsten Geburtstag. Haben Sie noch Kontakt zu den Kollegen aus der alten Zeit?
Herbert und ich, wir sind beide keine über die Maßen kontaktfreudigen Menschen, haben immer was zu tun, sind vielseitig interessiert und beschäftigt. Aber wir sind seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden, auch wenn wir keine regelmäßige Verbindung pflegen. Wir sehen uns aber unweigerlich bei Veranstaltungen, zu denen wir beide eingeladen sind, und es ist jedes Mal eine Freude, uns bei diesen Gelegenheiten auszutauschen. Dieses Jahr sind wir beide als Ehrengäste zum SFCD-Con nach Dresden eingeladen.
Schon in »Das Science Fiction Jahr 1996« beklagten Sie die niedrigen Absatzzahlen des besagten Nachschlagewerks, die mit 4000 Stück damals etwa der Hälfte der normalen Verkaufszahlen der Science Fiction -Romane entsprachen, hieß es im Vorwort. Wie sieht es heute aus? Sinken die Zahlen weiterhin? Wird Heyne das Projekt weiterführen, oder droht dem beinahe einzigen professionellen Science Fiction-Führer aufgrund des hohen Preises und der geringen Nachfrage das Aus? Gäbe es eine günstigere zeitgemäße Alternative, zum Beispiel als CD, um sich von den Online-Magazinen abzuheben?
Meine Informationen gehen dahin, dass dieses Jahr wieder ein Band erscheint. Die Auflage hat sich auf niedrigem Niveau stabilisiert; es besteht eine Nachfrage seitens Profis (Journalisten und Medienleute, die es nicht missen wollen) und dem glaubt man im Verlag Rechnung tragen zu müssen. Mein Kontakt zu Heyne ist aber inzwischen so lose, dass ich Ihnen keine zuverlässigen Informationen geben kann. Sie sollten sich an Sascha Mamczak, den verantwortlichen Lektor wenden.
Die Science Fiction liegt Ihnen sehr am Herzen. Schmerzt es Sie zu sehen, dass dem utopischen Genre mehr und mehr an Stellenwert verloren geht und die Science Fiction heute als Mainstream verkauft werden muss, damit die Romane über das Zielpublikum hinaus bekannt und somit erfolgreich werden können?
Das ist nun mal das Schicksal von Genre-Literaturen: Es ist ein ständiges Auf und Ab, Hin und Her. Hauptsache, es erscheint genug Lesenswertes wo auch immer und unter welchem Label auch immer. Das Science Fiction-Trüffelschwein wird es unweigerlich finden. Die Informationsmöglichkeiten sind heute durchs Internet besser denn je zuvor.
Haben Sie das Gefühl, dass der Markt gegenüber Ihren Anfängen als Lektor und Herausgeber gesättigt ist, was Kurzgeschichten betrifft? Oder hat sich lediglich der Geschmack der Leser bzw. der Verlage und der Lektoren geändert?
Von einer Sättigung des Marktes ist da ja wahrhaftig nicht zu reden. Im Gegenteil: Es bestehen äußerst schmerzhafte Lücken, die jeder begeisterte Story-Leser (wie ich selbst) zutiefst bedauert, aber die Lesegewohnheiten haben sich geändert, wenn auch nicht allzu sehr. Romane (und noch mehr Roman-Zyklen) haben sich schon immer besser verkauft. Bei Nachdrucken hat es bei 100 Romanen allenfalls den Nachdruck einer Anthologie oder Collection gegeben. Als der Markt sehr aufnahmefähig, ja fast unersättlich war, wurden die Storybände schlichtweg mitgezogen. Als der Absatz bröckelte und die Programme reduziert werden mussten, waren es die Publikationen mit den niedrigeren Verkaufszahlen, die es traf – und das waren eben die Anthologien und die Collections. Inzwischen sind sie (im Gegensatz zu den USA) völlig aus den Programmen gerutscht. Vielleicht kommt ihre Zeit mal wieder. Ich würd’s mir wünschen. Bis dahin müssen wir uns an ‚Nova‘ und die vonMommers herausgegebenen Anthologien halten, in denen ja auch immer wieder Perlen zu finden sind.
Im Internet mehren sich die Stimmen, die behaupten, dass Sie den Heyne Verlag verlassen haben, weil Ihnen die Übernahme durch den Springerkonzern nicht mehr die Freiheit ließ, die Sie als Lektor und Herausgeber benötigten, um Talente zu fördern. War dem so?
Das ist nicht richtig. Ich war über 65, als ich ausschied, und es war höchste Zeit, das Feld meinem Nachfolger zu überlassen, damit er mit neuem Elan und neuen Ideen die Reihe Heyne Science Fiction gestalten konnte. Ich freute mich aufs Schreiben und das Lesen von Büchern, die ich nicht lesen musste, von Büchern, die ich schon längst lesen wollte, aber nie die Zeit dazu gefunden hatte. Dass sich die Verlagsstruktur änderte und die Controller überproportional mehr Einfluss auf die Programmgestaltung nehmen konnten als der verantwortliche Lektor, ist eine Entwicklung, die ich in der Tat sehr bedauerlich fand. Das hatte aber nicht unbedingt etwas mit Springer zu tun, sondern ist ein Kennzeichen der beherrschenden Buchkonzerne (und darin unterscheiden sie sich nur marginal), in denen nun mal der Ertrag vor der Kreativität rangiert.
Ich hoffe, ich treffe keinen wunden Punkt – falls dem so sein sollte, möchte ich mich vorab entschuldigen –, wenn ich mich nach Ihrer Frau Rosemarie erkundige, die den von Ihnen hoch gelobten D.G. Compton oder auch D. Gerrold übersetzt hat. Ich habe ihren Namen über dem Ihren in dem von Ihnen mitherausgegebenen und mit dem Kurd Laßwitz Preis 1980 ausgezeichneten »Lexikon der Science Fiction Literatur« entdeckt. Haben Sie häufiger zusammengearbeitet?
Meine Frau ist eine der kenntnisreichsten Lektorinnen auf dem Gebiet der Science Fiction. Ohne ihre Mithilfe hätte ich nie die Textmassen lesen und beurteilen können, die anfielen. Sie hat seit zwanzig Jahren Bücher und Manuskripte gesichtet und beurteilt und den Löwenanteil der Storys zusammengesucht, die in den Anthologien unter meinem Namen erschienen sind.
In dem bereits erwähnten Lexikon findet sich der Vermerk, dass der Roman »Die Reise des Bruders Pablo« in Vorbereitung sei. Für Fans Ihrer Werke wäre es vielleicht interessant zu wissen, was aus dem Roman geworden ist und unter welchem Titel er später erschien.
»Die Reise des Bruders Pablo« sollte eine Novelle werden, die irgendwo zwischen »Meamones Auge« und »Das Geschmeide« angesiedelt war, ist aber übers Projektstadium nie hinausgelangt und liegt seit mehr als 30 Jahren in der Schublade. Dort wird sie wahrscheinlich vermodern.
Würden Sie Autoren raten, unter einem Pseudonym zu veröffentlichen? Wenn ja, aus welchen Gründen?
Das muss jeder Autor für sich entscheiden. Ich hab’s nie getan, auch nicht für den amerikanischen Markt (s. oben).
Ist es nicht gefährlich für einen Autor, der unzählige Science Fiction – Romane und Geschichten als Lektor und Herausgeber betreute, selbst einen Roman bzw. Storys zu schreiben? Besteht nicht die Gefahr, unterbewusst das Gelesene zu verarbeiten und Ideen zu erzählen, die einem sein Unterbewusstsein als die eigenen vorgaukelt? Oder ist es eher umgekehrt: Helfen die vielen Einblicke und die Arbeit mit den Autoren dabei, die eigenen Ideen zu präzisieren und den persönlichen Stil, die individuelle Stimme zu finden?
Entschuldigen Sie bitte, aber diese Frage finde ich sehr befremdlich. Wo in der Kulturgeschichte gab es je etwas, das dem Nichts entsprang? Nirgends. Kulturgeschichte, Kunstgeschichte ist ein Prozess, bei dem eins aus dem anderen herauswächst, sich anlehnt, angeregt und befruchtet wird. Weshalb soll, was in der Architektur und Malerei gang und gebe ist, nicht auch in der Literatur gelten? Solange es nicht auf Abkupfern, auf Ideenklau, aufs blanke Plagiat hinausläuft, ist es doch legitim, sich nach Anregungen umzusehen, verwandte Geister als Vorbilder zu suchen. Selbstverständlich muss man die eigene Ausdrucksnorm suchen, das Gefundene anverwandeln und in eine neue individuelle Form gießen.
Wenn es die Möglichkeit gäbe, sich einfrieren zu lassen, würden Sie diese Chance wahrnehmen? In welchem Jahr würden Sie dann wieder aufgetaut werden wollen? Und wie stellen Sie sich dieses von Ihnen erwählte Jahr nach heutigem Wissensstand vor?
Bitte alle hundert Jahre auftauen und mir genügend Zeit einräumen, damit ich mich umsehen kann, was sich getan hat, und es auch zu verstehen.
2006 brachte der Shayol Verlag die Storysammlung »Der Zeiter« heraus. Dieses Werk erschien bereits 1970. Acht Jahre später folgte eine erweiterte Ausgabe. Der nun aktuell vorliegende Band steht, laut Verlag, für eine in loser Folge erscheinende Reihe, in der Ihre Erzählungen zusammengefasst werden – ein umfassendes Werk für alle Leser. Für »Der Zeiter« schrieb Andreas Eschbach das Vorwort, die Geschichten wurden überarbeitet und Sie fügten ein Nachwort hinzu. Ist schon bekannt, wann der Nachfolgeband erscheint und wer dafür das Vorwort verfassen wird?
Darüber gibt es keine Vereinbarungen. Ich nehme an, Shayol wird abwarten wollen, wie sich der Versuchsballon entwickelt, um dann zu entscheiden, ob man sich an einen weiteren Band wagt.
Gemeinsam mit Rainer Eisfeld veröffentlichten Sie den Bildband »Marsfieber«. Gehört der Mars zu den für Sie faszinierendsten Planeten? Oder wird es weitere Bände ähnlicher Thematiken geben?
»Marsfieber« war aus gegebenem Anlass ein singuläres Projekt. Es ist nichts dergleichen in Planung.
In dem Science Fiction Jahrbuch aus dem Jahre 1985 des Moewig Verlags gaben Sie folgende Lesetipps: »Neben Christ Priest und Kate Wilhelm der beste Autor psychologischer Science Fiction: D.G. Compton. Sein reifstes Werk: Scudders Spiel.« Über zwanzig Jahre später. Wie sieht Ihr Lesetipp heute aus?
Meine Favoritinnen und Favoriten von heute:
Maria Doria Russell
Robert Charles Wilson
(und immer wieder) Stephen Baxter
Gibt es einen Autor, Lektor oder Herausgeber, mit dem Sie gerne noch ein Projekt starten würden?
Ich habe nicht vor, mich an irgendeinem Gemeinschaftsprojekt zu beteiligen. Ich habe genug eigene Ideen (für ein paar Erzählungen), die ich gern realisieren würde, wenn ich dazu noch die Kraft habe und mir noch ein paar Jahre vergönnt sind.
Sie haben für Ihre Bücher und Reihen, sowie für Ihre Tätigkeit zahlreiche Preise erhalten. Sind Sie zufrieden mit Ihrem beruflichen Werdegang oder gab es einen Moment, an den Sie zurückdenken und überlegen, dass Sie den damals eingeschlagenen Weg heute anders gehen würden?
Grundsätzlich nein. Ich möchte nichts missen und bin glücklich über das, was ich erreicht habe. Vielleicht gelingt es mir, dem noch das eine oder andere hinzuzufügen. Mir war bisher ein interessantes und schönes Leben vergönnt. Ich bin ein rundum glücklicher Mensch, bin glücklich verheiratet und habe einen 17jährigen Sohn, der wahrscheinlich in meine Fußstapfen tritt und zu größten Hoffnungen Anlass gibt.
Ich bedanke mich herzlich für das Interview und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg!
Ich bedanke mich für Ihr Interesse und für Ihre Wünsche, liebe Nicole Rensmann. Grüßen Sie bitte Ihre Leser von mir.
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Webtipps:
- Wolfgang Jeschke bei wikipedia
- Interview »Ich bin ein sehr neugieriger Mensch« bei epilog.de
- Der Autor bei Droemer (Leseprobe zu »Das Cusanus Spiel«, Stimmen zum Buch, Rezensionen)
- »Marsfieber« im STERN
- Laudatio zu »Das Cusanus Spiel«, DSFP Bester Roman 2006
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Stand 25.02.2007
© Text: Nicole Rensmann
© Foto: Wolfgang Jeschke