Interview Nina Blazon – 2005

phantastisch_19Auch das Interview mit Nina Blazon ist schon eine Weile her. Es erschien in der 19. phantastisch!-Ausgabe, die seit Juli 2005 erhältlich ist:

 

»Fantasy ist verfremdete Realität.«

Ein Interview mit Nina Blazon von Nicole Rensmann

Sie ist jung, sympathisch und ihre Leidenschaft gehört dem Kino. Nein, es handelt sich nicht um eine Filmdiva, sondern um Nina Blazon. Die Ausstrahlung wurde ihr 1969 vermutlich in ihrem Geburtsort Koper – die Stadt der Sonne, an der slowenischen Küste – in die Wiege gelegt. Ihre ersten Lebensjahre hat sie dort in der Gemeinde Piran am Mittelmeer in Slowenien verbracht. Später zog ihre Familie nach Neu-Ulm. Nina Blazons Begeisterung für Fantasy begann bereits als Jugendliche. Während ihres Studiums für Slavistik und Germanistik in Würzburg schrieb sie Theaterstücke und Kurzgeschichten. Nach Beendigung des Studiums unterrichtete sie an den Unis in Tübingen und Saarbrücken, sie absolvierte ein Praktikum am Theater und arbeitete für einen Sommer bei der Lokalredaktion der Cuxhavener Nachrichten. Nach ihrem Redaktionsvolontariat in Stuttgart begann sie bei einer Agentur als Werbetexterin. Ihre Beteiligung an Wettbewerben brachte mehrere Publikationen. Ende 2002 reichte sie beim Allegra-Literaturwettbewerb ihre Geschichte »Der Wörterverkäufer« ein, die zusammen mit weiteren 25 Autoren in der Anthologie »Briefgeheimnis« erschien. Die Wiener Zeitschrift »die melange« wählte ihre Kurzgeschichte »Die Donaukinder« aus 100 Einsendungen aus. Die Story erschien Ende Juni 2004. Doch der große Durchbruch gelang ihr mit dem Jugendroman »Im Bann des Fluchträgers«, der 2003 mit dem Wolfgang Hohlbein Preis ausgezeichnet und vom Publikum für den besten deutschen Debütroman beim Deutschen Phantastik Preis 2004 gekrönt wurde.
Aufgrund des Erfolgs sollte es nun eine Trilogie werden. Der zweite Band der, Woran Saga »Im Labyrinth der alten Könige«, erschien im Juli 2004.
Teil Drei der Woran-Saga mit dem Arbeitstitel »Im Reich des Glasvolks« befindet sich in Vorbereitung.
Anfang 2005 publizierte ebenfalls der Ueberreuter Verlag den Roman »Die Rückkehr der Zehnten«, ein Jugendroman, der sich um die Zwillinge Lis und Levin dreht, die ein geheimnisvolles Medaillon finden.

Heute lebt Nina Blazon mit ihrem Mann in Stuttgart.

Du arbeitest hauptberuflich als Autorin und nebenbei als freie Journalistin?

© Nina Blazon / privat

© Nina Blazon / privat

Ich habe den Wahnsinn gewagt, meinen festen Job zu kündigen und mich selbstständig zu machen. An erster Stelle stehen nach wie vor journalistische Arbeiten und das Texten von Informationsbroschüren. Zu meinen Spezialgebieten gehören Betriebsrentensysteme und Öffentlicher Personennahverkehr (ist leider nicht halb so unanständig, wie es klingt). Ich habe aber auch schon einen Umweltbericht geschrieben (Stichworte: Kühlschmierstoffe und Trockenzerspanung) und beschäftige mich als Mitarbeiterin der Zeitschrift »Interkultur« mit Integrationspolitik. Last but not least schreibe ich für die Stuttgarter Zeitung für das Kultur-Ressort.

Würdest du uns die Grenzen zwischen Journalismus und dem Schreiben von Romanen aus deiner Sicht erklären?

Journalismus ist Dokumentation, Romanschreiben ist Spielfilm. Allerdings haben beide Berufe auch viel gemeinsam. Man darf in vielen verschiedenen Leben und Fachgebieten stöbern und Leuten, an die man sonst nie herankommen würde, abstruse Fragen stellen, die sie im normalen Leben nie beantworten würden. Nun ja, zugegeben – wenn ich als Journalistin einen Techniker frage: »Wie sprenge ich eigentlich am besten einen Thronsaal?«, wird er in Zukunft vermutlich die Straßenseite wechseln.

Deine Romane handeln von Zauberei und Fantasy, mystischen Wesen und magischen Handlungen. Vieles davon beruht auf deiner Fantasie, doch ohne Recherche geht es sicherlich nicht. Wie akribisch recherchierst du für deine Romane?

Sehr akribisch! Schließlich ist auch Fantasy in gewisser Weise nur weitergedachte oder verfremdete Realität. Bevor ich über eine magische Glasmacherin schreibe, klopfe ich bei einer Kunstglaserei an und schaue mir an, wie Glasperlen gedreht werden. Zum Fantasy-Schreiben gehören außerdem Recherchen über Schamanen und Schöpfungsmythen, Waffen, Seilerei und Bergbau. Für die historische Fantasy kommen gerade noch interessante Themen wie Barockmode, Theatermaschinerie und Schleifenmacherhandwerk dazu. So verfüge ich inzwischen über viel solides Halbwissen, kann mich auf Partys als komischer Kauz outen und habe folglich immer genug Platz am Buffet.

Erzähl uns bitte von »Russalka«!

Die Russalka ist die slawische Variante der Melusine, Nixe und Undine. Manchmal wird sie ganz klassisch mit Fischschwanz dargestellt, manchmal als ermordetes Mädchen, das sich in Sommernächten aus einem Weiher oder See erhebt und auf Friedhöfen tanzt. Im Roman »Der Kuss der Russalka« habe ich Fantasy und Historienroman vermischt und der Russalka ein Heim im Fluss Newa gegeben – im Jahr 1706, als am Ufer eine neue Stadt entsteht: St. Petersburg. Natürlich bedroht die neue Stadt den Lebensraum der Nixen. Zudem ist Zar Peter ein großer „Kuriositätensammler“. Das Buch erscheint im Juli 2005 – und zwar trotz Nixenmagie als historischer Roman. Nach dieser gemeinsamen Verlags- und Autorentscheidung war mir erst einmal ein bisschen flau im Magen, denn an einigen Stellen habe ich in historischer Hinsicht doch ein wenig gemogelt, wenn es besser zur Geschichte passte. So schnell wurde zum Beispiel mit den damaligen Gewehren und Pistolen sicher nicht geschossen, um nur ein Beispiel zu nennen. Andererseits ist es eben ein historisches Märchen. Nun, ich rechne natürlich trotzdem fest mit einer randalierenden Historikerhorde, die mit Forken und Fackeln mein Büro stürmt.

Weißt du schon, was du danach schreiben wirst?

Derzeit sitze ich bereits an einem Projekt, das im Schweden des 17. Jahrhunderts spielt, und darf wieder interessante Dinge nachlesen (Kochrezepte für Elchbraten, typischer Verlauf einer Arsenvergiftung etc.). Aber auch Notizen für eine neue Trilogie aus der Woranwelt häufen sich derzeit auf dem Schreibtisch. Diesmal spielen die Geschichten in und um die Küstenstadt Dantar. Ob und wann die Trilogie gedruckt wird, wird sich zeigen – mal sehen, was die Verkaufszahlen der jetzigen Werke dazu sagen.

Gibt es etwas, das du im schriftstellerischen Bereich unbedingt einmal ausprobieren möchtest? Eine Zusammenarbeit mit einem anderen Autor/Autorin oder in ein neues Genre schnuppern?

Zusammenarbeit mit einem anderen Autor? Ich glaube, an ein solches Projekt würde ich mich zumindest im Augenblick nicht herantrauen. Aber eines Tages würde ich mich zum Beispiel wahnsinnig gerne mal mit Bernhard Hennen zu einem Fantasy-Plausch treffen. Der Mann hat einen herrlichen, skurrilen Humor! Ich erinnere nur an die Zahnarzt-Werwolf-Metamorphose in »Nebenan«.

Neues Genre? Eine richtige Familiensaga schreiben, die über mehrere Jahrzehnte geht, in Ungarn und Graz spielt und später in das ehemalige Jugoslawien »hinüberschwappt«. Ich fürchte nur, wenn ich es so durchziehe, wie es in meinem Kopf abläuft, wird meine Familie kein Wort mehr mit mir sprechen.

Wie bildest du dich weiter?

Hauptsächlich lese ich. Das Wunderbare ist ja, dass so gut wie jedes Thema seinen Forscher findet – und sei es »Blutegeltherapie im 17. und 18. Jahrhundert«. Dokumentationen sind auch was Schönes. Für die journalistische Arbeit besuche ich Seminare und Workshops. Aber gerade bei neuen Themen läuft es häufig einfach auf learning by doing hinaus.

Welche Lektüren bevorzugst du, fernab vom Job?

Biografien. Ich will wissen, warum Menschen so handeln, wie sie handeln und wie sie so geworden sind, wie sie sind. Die zweite Schiene sind Krimis, zum Beispiel die Japan-Krimis von Sujata Massey. Zurzeit verschlinge ich zudem die Bücher des afrikanischen Schriftstellers Nurrudin Farah. Immer auf der Hitliste: Kai Meyer und Zoran Drvenkar. Shooting-Star: Markolf Hoffmann (unbedingt lesen!).

»Weil ich Dich liebe« heißt eine im Februar 2005 erschienene Hörbuch-CD des Hörbuchverlags, die vom Hessischen Rundfunk produziert wird. Darauf befinden sich Kurzgeschichten von Judith Hermann, Rafik Schami, Marie Luise Kaschnitz, Hermann Hesse und Nina Blazon. Wie kam es dazu?

Wie kam die Jungfrau zum Kind? Angefangen hat es mit einem Literaturwettbewerb der (inzwischen eingestellten) Zeitschrift Allegra. Das Auto habe ich nicht gewonnen, dafür die Veröffentlichung der Geschichte »Der Wörterverkäufer« in der Anthologie »Briefgeheimnis«. Zwei Jahre später meldete sich dann der Hörverlag und kaufte die Story für eine CD-Anthologie zum Thema Liebe ein. Erst als ich das Belegexemplar in der Hand hielt, sah ich die Namen der anderen Autoren. Mein Deutschlehrer wäre in Ohnmacht gefallen.

Erinnerst du dich an ein besonderes schönes oder auch ärgerliches Erlebnis bei einer deiner Lesungen?

Eine ganz schöne Geschichte war die Lesung in einer Realschule. Ich kam in die Klasse – und stand in einem Zimmer voller Bilder von Regenbogenpferden, die die Schüler gemalt hatten! Ein sehr nettes, liebenswertes Erlebnis hatte ich auch in einer anderen Schule. Ein Mädchen, das beim Zuhören ganz rote Wangen bekommen hatte, meldete sich am Ende der Lesung und fragte ganz aufgeregt: „Und wer hat die Bücher, die Sie da jetzt vorgelesen haben, geschrieben?“

Derzeit steht Fantasy in Deutschland hoch im Kurs. Hast du dir schon einmal darüber Gedanken gemacht, was passiert, wenn die Leser wieder mehr Frauenromane like Hera Lind haben möchten? Würdest du das Genre dann wechseln oder für das, was dir am Herzen liegt, kämpfen?

Schwierige Frage. Über die Liebe schreiben – warum nicht? Über Kleidergröße 36 schreiben und daraus das einzig wichtige Anliegen meiner Hauptperson machen? Hm, ich glaube, da würde die Ironie mit mir durchgehen. Vermutlich würde es auch gar nicht hinhauen, einfach nahtlos in jedes beliebige „Auftragsgenre“ zu wechseln – schließlich muss man für Liebesromane ein Händchen haben. Grundsätzlich würde ich jedenfalls nicht aufhören, Fantasy zu schreiben – im Zweifelsfall eben wieder mehr für die Schublade. Ich sage jetzt mal ganz idealistisch: Solange ich noch vom Journalismus leben könnte, würde ich wohl eher wieder auf diese Schiene umschwenken.

Wie nutzt du das Internet für dich? Besuchst du Foren, Chatrooms? Surfst du für Recherchen?

Im Chatroom, muss ich zugeben, war ich noch nie. Bei Fragen à la »Wie sah eine Wärmflasche anno 1637 aus?« sind Fachforen und Internetrecherchen zur Orientierung sehr nützlich. Obwohl ich mich im Endeffekt dann doch lieber auf das gedruckte Wort verlasse.

Bist du ein gläubiger Mensch?

Ich glaube: an viele Menschen, an Worte und Versprechen, an den Zufall, an Freundschaften und Loyalität, an den Humor und daran, dass es vielleicht all das, an was andere Menschen glauben, wirklich gibt, auch wenn ich es nicht immer sehe.

Auf deiner Website unter FAQ ist nachzulesen, dass du dich gern im Kino erholst.

Wie regelmäßig besuchst du ein Kino und welche Filme schaust du dir bevorzugt an?

Stimmt, ich sage immer vollmundig, mein Hobby sei Kino, dabei beschränkt es sich dann doch eher auf DVD. Aber je mehr Filme man im Kino verpasst, desto interessanter wird hier die Auswahl. Ich mag asiatische Filme à la Tiger & Dragon, außerdem Mystery-Thriller wie »The Village« und »The Others«, gemäßigte Horrorfilme und Klassiker wie »Blade Runner«. Zu meinen Lieblingsfilmen zählen zudem »Das Fest« von Lars Trier und »König der Fischer«.

Wenn eines deiner Bücher verfilmt werden würde, welche Schauspieler würdest du dir für deine Protagonisten wünschen?

Oh, das ist eine schöne Frage! Darf ich für »Im Labyrinth der alten Könige« wild und größenwahnsinnig mischen?

Da hätten wir als Darian Danalonn: Jonathan Rhys-Myers, dann die Stollenherrin Estima: Corinna Harfourch und Fenja, die Jägerin: Hillary Swank (»Boys don’t cry«). Als Höhlentreter Fingis würde sich Danny de Vito ganz prima machen und der zynische Schmuckmacher Helim Silberblatt kann nur Jean Reno (»Leon der Profi«) sein! Zu den beiden Hauptfiguren Julin und Haliz fällt mir dagegen niemand ein, der ihnen irgendwie ähnlich sieht…

© Edward Hopper

© Edward Hopper

Dein Lieblingsmaler ist Edward Hopper. Gibt es ein Bild von ihm, das dir besonders am Herzen liegt?

Auf dem Bild »Kino in New York« von 1939 sieht man eine Platzanweiserin, die ein bodenlanges, sehr festliches Abendkleid trägt. Ein bisschen erinnert sie an die Tänzerin Ginger Rogers. Im Kinosaal ist es dunkel, links erahnt man ein Stück Leinwand und eine Liebesszene in Schwarz-Weiß. Rote Samtvorhänge leuchten im spärlichen Licht, und die junge Frau blickt einfach nachdenklich ins Leere. Das ist ein wunderbares Bild, das den Betrachter sofort einlädt, die Szene weiterzudenken und eine Story daraus zu spinnen. Ich finde, alle Bilder von Hopper erzählen Geschichten – die Personen sind in einer Situation, einer Lichtstimmung erstarrt und man möchte wissen, wie es mit ihnen weitergeht!

Du gehörst zu den Menschen, die ein großes, ehrliches Herz haben. Kannst du auch mal so richtig sauer sein und ablästern?

Oh, vielen Dank – diese Einschätzung ehrt mich natürlich sehr! Und zum Thema „sauer sein und lästern“: Ich bekenne mich eher zur Fraktion »Zitternde Unterlippe«. Leuten haarklein erklären, warum ich dieses oder jenes von ihnen ganz, ganz gemein fand – und dann so lange diskutieren, bis sie ins Koma fallen. Fruchtet das nicht, werde ich schon mal sauer. Trotzdem bin ich ein richtiges Kaltblut, folglich dauert es seeeehr lange, bis ich auf eine Palme steige, dann allerdings hagelt es schon mal richtig Kokosnüsse – und zwar direkt und oft leider auch mitten auf die Nase.

Was wünschst du dir für die Zukunft in deinem Beruf?

Für den Journalismus: dass es weitergeht und dass ich noch über viele neue Themen schreiben kann. Für das Schreiben: dass es weitergeht und dass sich noch viele Leser in die Woran-Welt oder zu den Newa-Nixen entführen lassen und dort ein bisschen Urlaub vom Alltag machen!

Und privat?

Im Augenblick wünsche ich mir gar nicht viel anderes, als ich jetzt schon habe. Gut – ein paar Reisen mehr dürften es sein: Finnland, Alaska, Schweden…

Ich danke dir sehr für die Zeit, die du dir genommen hast und wünsche dir weiterhin aufsteigenden Erfolg!

Vielen Dank für das Interesse und die guten Wünsche! Mal sehen, was die Zukunft bringt…

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Foto: Privat, Nina Blazon
Text: Nicole Rensmann / phantastisch! / Nina Blazon

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