Interview mit Purple Schulz (2014): Wie Musik und Demenz die eigene Welt verändern

© Purple Schulz
© Purple Schulz

Purple Schulz. Das ist Sehnsucht in kleinen Seen mit verliebten Jungs. Der deutsche Sänger, der in den 80-ern seine größten Erfolge feierte, verfügt jedoch über deutlich mehr Potenzial als diese drei Hits, mit denen er oft verbunden wird. Seit 1973 macht er das, was er will, seit Längerem genauso wie er will, mit allen Höhen und Tiefen, die das Business mitbringen: Musik.
Dafür erhält er meinen vollen Respekt.

Ich habe seine Songs gehört, gesungen und manchmal gekreischt. Damals, als ich nicht einmal volljährig war. Doch heute erst habe ich mich mit dem Mann beschäftigt, der mich mit seinem Song „Sehnsucht“  zum Weinen brachte. Damals wie heute. Und ich musste feststellen, dass Purple Schulz ein interessanter, kreativer Familienmensch ist, der mit offenen Augen und viel Herz durch die Welt geht. Und mit dieser kritischen, neugierigen Empathie entstehen die Texte zu seinen Songs – damals wie heute. Doch die Themen sind mit ihm älter geworden, so wie auch die Zeit nicht an ihm spurlos vorbei gegangen ist. Er ist gereift, seine Songs sind es auch. Er imponiert mir. Dieser Purple Schulz. Menschen, die ihren Weg gehen, mal auf, mal ab und mal querfeldein, haben mich schon immer begeistert. Auf Purple Schulz bin ich vor einigen Wochen – 30 Jahre nach „Sehnsucht“ – wieder aufmerksam geworden. Grund war sein Video zu dem Song „Fragezeichen“ und das damit zusammenhängende Schlagwort „Demenz“. Ein Thema mit dem ich mich viele Jahre beruflich beschäftigte.

Ich erinnerte mich an seine Popularität aus den 80-ern. Ich zögerte ihn anzusprechen. Klar, in TV und Radio zählen Liedermacher nicht mehr viel, weil glattgeputzter Pop sich besser verkauft. Davon wissen Stefan Stoppok, Gregor Meyle oder Niels Frevert ein Lied zu singen. Bei mir zählen sie aber schon. Und mir wird mehr und mehr bewusst, mit welchen ähnlichen Problemen Liedermacher und Schriftsteller zu kämpfen haben, wenn sie nicht mit der Masse schwimmen wollen.

Ach, was soll’s, dachte ich. Fragen kostete mich höchstens eine kurze Krise nach der Absage. Ich versuchte mein Glück.
Er antwortete. Offen und freundlich. Wow! Wunderbar. Ich freute mich und stellte am Ende fest, dass Purple Schulz ein echt toller und sehr sympathischer Mensch ist.

Übrigens ist mir aufgefallen, dass Purple Schulz schon in „Sehnsucht“ das Niemandsland erwähnte. Wenn das kein Zufall ist … ach, Zufälle gibt es ja gar nicht.

Aber nun geht es los

Demenz macht vor keinem Menschen halt, egal ob Reinigungskraft oder Wissenschaftler. Unabhängig von Alter, Reichtum oder Bildungsstand kann jeder an Demenz erkranken. Medikamente und Therapien helfen nur bedingt, denn Demenz ist weder heilbar, noch zu vermeiden. Prominente sind es, die aufklären und sensibilisieren und viele andere Menschen mit ihren Erfahrungen über Demenz erreichen können.

Purple Schulz. Musiker. Liedermacher. Mensch.

 Der am 25.09.1956 in Köln geborene Rüdiger Schulz begann mit sieben Jahren Klavier zu spielen, vier Jahre später folgte Orgelunterricht. Mit 13 Jahren wünscht er sich nichts sehnlicher als eine Hammondorgel. Da diese jedoch zu teuer ist, nutzt er das damals einzige Orgelgeschäft in Köln um seiner Begeisterung über das unbezahlbare Musikinstrument Ausdruck zu verleihen. Nicht zur Freude des Ladenbesitzers, den Rüdiger Schulz mit seiner Interpretation von Deep Purples »Child in time« beinahe in den Wahnsinn trieb. Diese vehemente Leidenschaft brachte Rüdiger Schulz seinen Spitznamen Purple ein.

Mit diesem Namen hat der heute 57-jährige Purple Schulz Musikgeschichte geschrieben.

Seine musikalische Karriere beginnt am 31.03.1973 mit dem ersten Auftritt in einem Kölner Jugendzentrum zusammen mit seiner Band d’accord.
Bis zum Nummer 1 Hit sollten jedoch noch mehr als neun Jahre, zahlreiche Konzerte und viele Erfahrungen vergehen, neue Bandmitglieder kommen und andere gehen.

Im Oktober 1984 spielte DJ Dave Colman im WDR den Song »Sehnsucht« und verhalf Purple Schulz damit auf die Karriereleiter. Auftritte mit Brian Adams, Auszeichnungen (Goldene Europa 1985), TV-Auftritte und unzählige Konzerte folgen. Das ändert sich in den nächsten Jahren nicht, auch die folgende Platte und die gleichnamige Auskopplung »Verliebte Jungs« hat großen Erfolg und landet auf Platz 1 der Charts. Zwölf Platten mit großen und kleinen Hits hat Purple Schulz seitdem veröffentlicht. Gesellschaftskritische Songs ergänzen sein Repertoire. Und seinen Erfolg nutzt der Musiker auch für karitative Zwecke. Er will aufmerksam machen, helfen, unterstützen.

Als Musiker, Texter und Liedermacher ist er vielfältig tätig. Neben zahlreichen Tourneen, arbeitet er u. a. an der CD für die 25-jährige Jubiläumssendung der Sendung mit der Maus mit, komponiert Lieder für das Kindermusical Die Biene Maja und für Peter Kraus, er singt im Duett mit Anne Haigis (1998) und das Duo Purple Schulz & Josef Piek: 2-stimmig entsteht. Ein Programm mit dem er durch ganz Deutschland reist.

2002 muss er gleich mehrere Konzerte absagen. Eine schwere Lungenentzündung zwingt ihn einige Schritte zurück. Doch danach geht es musikalisch weiter. Auch wenn seine Lieder nicht mehr in den populären Radiosendern gespielt werden, ruhiger ist es um Purple Schulz nicht geworden. Er singt, produziert, textet und gibt Konzerte. Immer weiter.

Heute schreibt er seine Songs mit Ehefrau Eri, er lebt mit einem Hund und zwei Katzen in Köln. Seine beiden Söhne und seine Tochter sind längst flügge geworden, doch mit Sohn Ben hat er bereits Musik gemacht und Sohn Dominik bietet seine fachmännische Hilfe an, wenn es um den Dreh von Videos geht. Auch Enkelkind Merle wurde bereits zum kleinen Star in dem Video »Ich habe Feuer gemacht!«. Musik hält auch eine Familie zusammen, so scheint es.

Doch wie ging die Familie Schulz damit um, als Merles Opa an Demenz erkrankte? Eine Krankheit mit vielen Gesichtern, die den Menschen verändert. Nach dem Tod seines Vaters hat Purple Schulz den Verfall in seinem Song »Fragezeichen« verarbeitet. Das dazu gehörende Video hat eine besondere Aufmerksamkeit erreicht. Demenzstationen und Ausbilder der Pflegeberufe zeigen das Video auf Seminaren.

Das Interview

Sie sind ein interessanter, vielfältiger Mensch, haben eine tolle Karriere hinter – und weiterhin vor sich. Sie gehen mit offenen Augen durch die Welt. Das spiegelt sich in Ihren Texten wieder. Nicht selten verarbeiten Sie darin auch Ihre eigenen Erlebnisse.

So ist auch Ihr Song »Fragezeichen» entstanden, nachdem Ihr Vater an Demenz erkrankte. Der Song und das dazugehörende Video (2012) werden wiederholt auf Seminaren zum Thema Pflege und Demenz vorgestellt. Auch Sie sind zunehmend Talkgast, wenn es um dieses Thema geht.

Haben Sie mit dieser Resonanz gerechnet?

Als ich »Fragezeichen« auf dem 7. Kongress der Deutschen Alzheimer Gesellschaft gespielt hatte, und nach dem Song diese Stille im Publikum war, da wurde mir in diesen paar Sekunden klar, was für ein Potenzial in diesem Lied steckt, dass es wirklich etwas bewirkt beim Hörer. Nach diesem Moment der Stille gab es eine unglaublich warme Welle der Sympathie und einen nicht endenden Applaus. Da wusste ich, dass es gut ist. Und dann entstand auch der Plan, dieses Video zu drehen. Meine Frau Eri schrieb das Script und mein Sohn Dominik kümmerte sich um Kamera und Schnitt. Ohne die Unterstützung meiner Familie und unserer Freunde wäre das gar nicht zu realisieren gewesen.

Ich zitiere aus einem Interview, das Mike Brettschneider von deutsche-mugge.de im Februar 2013 mit Ihnen geführt hat: *»Bevor mein Vater starb, hatte er sich schon geraume Zeit davor mehr oder weniger verabschiedet. Und ich habe mich immer gefragt, „Wo ist er jetzt? Wie nimmt er das alles wahr, was um ihn herum passiert? Was ist jetzt seine Wirklichkeit?“«

Wie sind Sie und Ihre Familie mit der Veränderung Ihres Vaters umgegangen? Hatten Sie die Möglichkeit, sich mit dem Thema vorher schon auseinanderzusetzen?

Meine erste Auseinandersetzung mit Demenz fand schon Anfang, Mitte der 60er statt. Ich war etwa acht Jahre alt und wir besuchten meine Großeltern in einem sogenannten Altersheim. Ich werde nie den Geruch vergessen, der mir dort entgegenschlug. Dass meine Oma meinen Vater für den Arzt hielt, konnte ich mir da noch nicht erklären. Früher wurde sowas abgetan mit Vokabeln wie „verkalkt“ oder „Altersschwachsinn“. Entsetzlich. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Der Geruch aber ist heute noch in so manchem Heim wahrzunehmen. Und das sind nicht unbedingt Ausnahmen. Wenn man so mit Kindern in unserer Gesellschaft umginge, ginge ein Aufschrei durch das Land. Kinder, die mit Tabletten im Kindergarten ruhig gestellt oder fixiert werden, die sich einnässen und im eigenen Urin Stunden verbringen müssen, nichts zu trinken bekommen. Und dann vielleicht noch von Pflegerinnen geschlagen würden, deren Sprache sie nicht verstehen. Das ist zwar nicht der Alltag in deutschen Pflegeeinrichtungen, aber sooo selten, wie man gerne tut, ist es auch nicht. Günther Wallraff hat dies gerade wieder in einer Reportage ans Licht geholt.

Was meinen Vater anging so war es meine Mutter, die ihn gepflegt hat. Es sind in der Regel die Frauen, die das übernehmen. Und oft, wenn der jahrelang gepflegte Partner dann stirbt, bleibt ihnen kaum die Zeit, etwas vom Leben nachzuholen, weil sie selber erkranken.

Was wünschen Sie sich für Menschen mit Demenz und für diejenigen, die mit Demenzerkrankten leben?

Vor allem wünsche ich mir für die Betroffenen Liebe. Und Zeit. Und Anerkennung für die Pflegenden, ob beruflich Pflegende oder Angehörige. Einfühlungsvermögen und Geduld. Und wenn das alles da ist, dann auch mehr Geld.

Hat sich Ihr Bild zu diesem Thema seit dem Entstehen des Songs bis heute – nach all den vielen Mails, Einladungen und Informationen – verändert?

Ich habe so viele Gespräche geführt und bekomme so viel Resonanz, da bekommt dieses Thema eine große Priorität in meinem Leben, was ich eigentlich gar nicht beabsichtigt hatte. Aber nun steh ich da auch etwas in der Verantwortung, schließlich habe ich mit dem Video auch etwas losgetreten. Aber ich mache das gerne, weil es mich dazu bringt, mich mit dem Älterwerden zu befassen. Und dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Ende, dem Sterben und dem Tod. Und das Nachdenken über den Tod empfinde ich als eine große Bereicherung für das Leben. Das versuche ich auch in meinen Konzerten zu vermitteln. Ich habe da viel gelernt von meinem verstorbenen Freund Fritz Roth, der als Bestatter viel auf den Weg gebracht hat, was unseren Umgang mit diesen Themen anbelangt. Meine Frau und ich sprechen sehr viel darüber, eben weil wir gerne leben und der Tod nun mal zum Leben dazu gehört.

Sie haben mit Ihrer Musik immer schon Themen besungen, die Sie aktuell beschäftigen. Ihre Texte verändern sich, wie auch die Zeit und das Leben. Das zeigt, wie offen Sie mit der Welt um sich herum umgehen, dass Sie sehen und erkennen. Diese Art von Empathie lässt auch gesellschaftskritische Texte zu, kann aber auch nachdenklich oder gar ängstlich machen.

Fürchten Sie sich vor dem Älterwerden?

Nein, ich werde ja nicht wirklich älter, mit meiner Frau an meiner Seite. 😉 Wir schreiben die Texte ja gemeinsam. Meine Frau ist, was das Hinsehen angeht, noch viel genauer als ich. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie das als Homöopathin und Therapeutin sowieso immer musste. Wenn man – so wie wir – gemeinsam arbeitet, diese Arbeit so einen Spaß macht, dass sie einem gar nicht wie Arbeit vorkommt, obwohl man manchmal bis morgens um vier Uhr noch an Texten feilt, am Wochenende 1500 km fahren muss zu Konzerten, immer wieder neue Menschen trifft, dann kann man gar nicht älter werden.

Was ich allerdings merke, ist, dass mir viele Dinge nicht mehr so leicht fallen. Oder dass ich nach einem langen Wochenende, was bei mir ja immer Arbeit bedeutet, auch wirklich zwei Tage meine Ruhe brauche. Was leider nicht immer klappt, da ja alle anderen von montags bis freitags arbeiten und dann erwarten, dass ich ihre Mails beantworte. 😉

Das spricht für Sie! Und über Ihre schnelle Beantwortung habe ich mich auch sehr gefreut. 😉
Wer Ihre Biografie liest und Ihre Konzertdaten studiert, stellt schnell fest: Purple Schulz hat sich nie zur Ruhe gesetzt, obwohl es ruhiger um ihn geworden zu sein scheint. Hängt das mit dem Wandel der Zeit, der Presse, der Popmusik und dem sich verändernden Business zusammen?

Es liegt einfach nur an fehlender Bildschirmpräsenz. Und natürlich daran, dass wir gar nicht die Promotionarbeit einer großen Plattenfirma leisten können, geschweige denn, sie zu finanzieren. Um richtig großen Erfolg in der Musikbranche von heute zu haben, muss man schon mal 100.000,- in die Hand nehmen für Promotionzwecke. Für diesen Preis kann ich aber andererseits fünf Alben in meinem Studio produzieren. Also mach ich doch lieber das und vertraue auf meine Musik und die Zeit. Und darauf, dass es irgendwann die richtigen Leute hören. Diese Songs sind ja sowas wie meine Kinder. Sie laufen los in die Welt und entwickeln ihr Eigenleben.

Und was halten Sie von Casting-Shows?

Da gibt es ja mittlerweile solche und solche. Ich würde meinen Kindern wirklich verbieten, da mitzumachen. Aber die wollten das zum Glück auch nie 😉 Denen hat es gereicht, dass wir als ihre Eltern ihre Talente erkannt haben und sie darin unterstützten.

Ganz schlimm finde ich DSDS, aber das findet jeder schlimm, der halbwegs noch bei Verstand ist. Diese Sendung ist nur noch menschenverachtend. Aber auch wieder typisch für die unendliche Dummheit der Menschen, die die Unendlichkeit des Universums relativiert.

Früher waren es Deep Purple und Genesis; welche Musik entspannt oder inspiriert Sie heute?

Wirklich entspannen kann ich bei Joni Mitchell und James Taylor, bei Johann Sebastian Bach, Vogelgezwitscher und Wasserplätschern. Aber ich will mich nicht nur entspannen bei Musik. Ich will, dass sie mich inspiriert. Und das kann vor allem Peter Gabriel. Am liebsten aber höre ich Musik von den Frauen, die ich auch zu meinen Freundinnen zählen darf: Regy Clasen, Christina Lux und Dania König. Ihre Stimmen lassen mich abtauchen.

Ihr Song »Sehnsucht« hat Sie berühmt gemacht. Welche Sehnsüchte haben Sie heute – dreißig Jahre später?

Ich habe in der Tat ganz schnell Sehnsucht nach meiner Frau, wenn sie mal wieder für ein paar Tage unterwegs ist.

In Ihrer Vita habe ich entdeckt, dass Sie in den 90-ern eine Aquarell-Ausstellung im Museum König in Bonn mit dem Thema „Gorillas im Rahmen“ hatten. Das schien eine einmalige Sache zu sein. Könnten Sie sich vorstellen, irgendwann mit der Musik aufzuhören? Würden Sie sich dann der Malerei widmen oder eine andere kreative Seite zeigen?

Ich werde wahrscheinlich Musik machen bis ich tot umfalle. Das macht schon allein deswegen Sinn, weil es sowas wie eine Altersvorsorge für Künstler nicht gibt. Die meisten von uns haben nämlich ihr Geld irgendwann den falschen Leuten anvertraut und dann war’s das mit der Vorsorge. Aber mal im Ernst: so lange mir das Spaß macht und ich das kann, werde ich Konzerte spielen. Und hoffentlich zwischendurch mal wieder etwas malen. Und außerdem kann ich ja vielleicht noch eine Ader in mir entdecken, die mir noch völlig unbekannt ist. Da lass ich mich gerne überraschen.

Ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit für mich genommen haben und wünsche Ihnen weiterhin tolle Ideen und kreative Musiktexte.

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Webtipps

Interviews mit Purple Schulz

  • „Eine Achterbahnfahrt durchs Leben“, Bonner Generalanzeiger, 26.09.2013 von Ebba Hagenberg-Miliu
  • „Heute überrascht Pop keinen mehr“, Leverkusener Anzeiger, 08.05.2014 von Frank Weffen

Text © Dieses Interview mit Purple Schulz führte Nicole Rensmann per E-Mail im Juni 2014 für gps2all.

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