Musical. Ob auf großen Bühnen oder in kleinen Theatern, in einem Musical tauche ich in eine andere Welt, lass mich berauschen von Musik und tollen Stimmen, erfreue mich an Kostümen und Kulisse und bin für diesen einen Abend frei von Gedanken, Alltag und Sorgen.
Das Teo Otto Theater in Remscheid drohte bei den kulturellen Sparmaßnahmen der Stadt schon häufig geschlossen zu werden. Das wäre eine Katastrophe für die Stadt. Ich habe schon einige tolle Abend-Veranstaltungen dort erlebt, mit »Faust – Die Rockoper«, »Der kleine Horrorladen« oder »My Fair Lady«- nicht über alle Events habe ich berichtet.
Da ich erst vor Kurzem das filmische Experiment „William Shakespeares Romeo & Julia“ (1996) mit Leonardo Di Caprio als Romeo und Claire Danes als Julia und diese Woche den Film „Fack ju Göthe“ (2013), in dem auch eine kurze, moderne Sequenz von Romeo & Julia aufgeführt wurde, gesehen habe, war ich zumindest im Thema drin. Auch den Animationsfilm „Gnomeo und Julia“ (2011) kann ich durchaus als anschauliche Umsetzung des Shakespeare-Klassikers empfehlen.
Doch was mich bei »West Side Story« erwarten würde, das hatte ich vorher nicht geahnt.
»West Side Story« – eine Tanz- und Musikadaption von Leonard Bernstein. Der Klassiker Romeo & Julia wird in das „moderne“ Manhattan versetzt. Zwei rivalisierende Banden – die Jets und die Sharks – bekämpfen sich bis aufs Blut. Dann trifft Tony, der sich aus dem Milieu längst zurückgezogen hat, von seinem besten Freund jedoch immer wieder gerne zur Hilfe gezogen wird, auf Maria und verliebt sich. Doch ihre Liebe muss geheim bleiben, zu stark ist der Hass zwischen den beiden Gangs. Es kommt zur Katastrophe und diese Liebe – und die Geschichte – nimmt ein tragisches Ende.
Das Landestheater Detmold brachte seine Inszenierung von Bernsteins »West Side Story« auf die Bühne. Wie nah diese Aufführung an dem Original liegt, weiß ich nicht.
Nun saß ich also in den doch recht bequemen roten Samtsesseln des Teo Otto Theaters und wusste nach den ersten Minuten noch nicht so richtig, wohin mich diese musikalisch-tanzende Reise bringen würde. Die Musik, die Lieder – teils bekannt – , gespielt von den Bergischen Symphoniker unter der Leitung von Peter Kuhn, klingen disharmonisch. Das muss so sein. Ein Ballett – Männer in verschwitzten Shirts und karierten Shorts -, Mitglieder der Jets, tanzen über die Bühne wie ein paar pubertierende Jungs.
Das sah nicht nur anders aus, es klang auch zunächst befremdlicher als die harmonischen Klänge von „Sister Act“ oder „Die Schöne und das Biest“. Das würde aber spannend werden. Wann war nochmal die Pause?
Ich ließ mich darauf ein.
Am Ende war ich wohl, zum Leid meines Sohnes, die erste, die aufstand und applaudierte.
Meine Meinung in einem Wort? Grandios!
Eine hervorragende schauspielerische Leistung – live und auf den Punkt. Die Stimmen von Leah Delos Santos alias Maria, Peter Schenk – der Tony – und Anita (Andrea Sanchez del Solar) waren phantastisch! Gut, Peter Schenk hatte bei seinem ersten Lied ein bisschen Probleme, aber das legte sich, und wenn er Maria mit dem gleichnamigen Song seine Liebe singend gestand oder mit ihr zusammen „Tonight“ anstimmte – dann fühlte ich mich in diese andere Welt versetzt, die das Theater so wunderbar zu verkörpern versteht.
Andrea Sanches del Solar – Anita, Freundin von Marias Bruder, dem Anführer der Sharks – und spätere Verbündete von Maria hat nicht nur eine tolle Stimme, sondern musste auch eine der schwersten Rollen verkörpern, denn am Ende wird sie – natürlich nur angedeutet, aber plastisch ausreichend – auf der Bühne vergewaltigt. Bei dieser Szene stand das Entsetzen still und starr über den Köpfen der Zuschauer.
Das komplette Ballett – die Sharks und die Jets? Applaus! Applaus!
Einzig, und da gebe ich Frank Becker vom rga absolut recht, die Albtraumsequenz nach der Pause hätte etwas kürzer und vielleicht nicht so dick aufgetragen werden müssen, aber das gibt keinen Punktabzug, denn die Frau, die dazu sang, machte mit ihrer Stimme jegliche Kritik wett.
Alle Songs werden auf Englisch gesungen, was ich persönlich richtig und gut fand, von anderer Stelle habe ich hier jedoch kritische Stimmen gehört und auch das ältere Ehepaar, das in der Reihe neben uns saß, ist nach der Pause nicht wiedergekommen. „West Side Story“ ist somit sicherlich nicht für jeden Theater- oder Musicalfreund.
Fazit: Die Inszenierung von „West Side Story“ ist kein seichtes Musical, sondern starker Tobak. Hier wird der Alltag von sich rivalisierenden Gangs und Ausländerfeindlichkeit auf der Bühne brutale Wahrheit. Dramaturgie und Gesang, begleitet von den Bergischen Symphonikern – toll! Richtig toll!
© Fotos: Bernd Klein / West Side Story, Landestheater Detmold – Verwendung mit freundlicher Genehmigung.
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