Zamonien – Ein Kontinent der Phantasie
Zamonien! Auf nach Zamonien. Ich bin sooo weit gereist, doch die Heimat, sie heißt: Zamonien. Auf nach Zamonien. Macht euch alle bereit, für die Fahrt in vergangene Zeit!
Wer das Musical »Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär« gesehen und die Musik verinnerlicht hat, kennt diesen Refrain.
»Zamonien« ist kein gewöhnlicher Ort, wie Berlin oder Hamburg. Zamonien ist ein Kontinent. Unendlich groß, ohne Ende, ohne Anfang. In, unter und auf Zamonien spielen die Geschichten von Walter Moers. Kennst du nicht? Doch. Doch. Walter Moers hat nicht nur Zamonien-Romane geschrieben, sondern ist mit seinen nicht unbedingt jugendfreien, grundsätzlich aber bissigen, bösartigen Comics wie »Das kleine Arschloch« oder »Der Fönig« bekannt geworden.
Spätestens wer das Video »Adolf, du Nazisau« gesehen hat, sollte wissen wer Walter Moers ist. Walter Moers hat Zamonien erbaut und in jedem seiner Romane ein Stück mehr von diesem außergewöhnlichen Kontinent hinzugefügt.
»Rumo«, »Ensel und Krete«, »Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär«, »Die Stadt der Träumenden Bücher«, »Der Schrecksenmeister«* oder zuletzt »Das Labyrinth der Träumenden Bücher« – Zamonien ist allgegenwärtig und reich an wahnwitzigen Kreaturen und skurrilen Ideen. So viele, dass sich diese ein einzelner Mensch kaum alle merken kann.
Walter Moers – schon gesehen?
Geboren, das ist soweit bekannt, wurde Walter Moers am 24. Mai 1957. Der Ort Moers wurde nicht nach ihm benannt und auch sonst wird sein Privatleben nicht nach außen getragen. Ein normaler Typ. Sicher? Das Besondere an Walter Moers ist nicht die Phantasie, seine Kreativität und die Vielseitigkeit – nicht nur. Interessant an ihm ist die Tatsache, dass er als Autor und Illustrator nie in Erscheinung tritt. Der Mensch Walter Moers scheint nicht zu existieren. Einst erzählte er in einem Interview, dass er in frühen Jahren tatsächlich öffentlich aufgetreten und in Fernsehshows zu sehen war, doch diese plötzliche Prominenz gefiel ihm nicht. Menschen, so weiß er zu erzählen, glotzten ihn an. Kein Leben für einen Menschen, der gerne zurückgezogen und unauffällig leben möchte. Doch wie funktioniert seine Abstinenz mit der heutigen „Wir-wollen-dich-anfassen“-Mentalität?
Autoren sollen Interviews geben, real sein, müssen Lesungen abhalten und Autogramme schreiben, bei Wohnzimmerlesungen geknuddelt werden und bei Premieren Sektgläser schwingen. Sie müssen auf Facebook und Twitter vertreten sein. Denn wer nicht dort ist, ist nix.
Walter Moers braucht das alles nicht. Walter Moers ist ein anonymes Phänomen, das in der Buchbranche einzigartig ist. Sein Erfolg degradiert alle Marketingstrategien und Social-Media-Befürworter zu Lügengladiatoren, die in Zamonien in vielfältiger Weise vertreten sind. Doch Walter Moers lebt. Martin Lingnau inszenierte das Musical »Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär« und besuchte Walter Moers und seine Frau Elvira in deren Domizil, um sie von der Umsetzung des Musicals zu überzeugen. Gut, vielleicht war es nicht Walter Moers, sondern »Das kleine Arschloch« oder – was wahrscheinlicher ist – Hildegunst von Mythenmetz, das vermutlich größte Moers’sche Alter Ego und der berühmteste Lindwurm von Zamonien.
Ein Dichter und Schriftsteller – natürlich. Wie auch immer. Die Bücher und Comics sind seit Jahrzehnten erfolgreich auf dem Markt vertreten. Walter Moers nicht. Bewundernswert! Hier zählt das Werk und sein Können, nicht aber, ob er stylish angezogen ist, mit seinen Fans flirten oder wie ein Schauspieler vorlesen und gleichzeitig dabei entertainen kann.
Es sind Phantasie und Talent, die überzeugen. Erstrebenswert!
Zamonien – Das Lexikon und seine Macher
Anonymität hin oder her. Mich interessiert, wer Autor oder Illustrator sind. Mit Wohlwollen habe ich somit zur Kenntnis genommen, dass noch vor dem Vorwort die Macher des Lexikons vorgestellt werden: Anja Dollinger, die Autorin und der Gestalter Oliver Schmitt. Natürlich durfte auch Walter Moers in dieser Kategorie nicht fehlen. Neues gibt die kurze Vita jedoch nicht preis.
Hildegunst von Mythenmetz, das Schreibego Walter Moers‘ und der sprachlich dauerhafteste Lindwurm in Zamonien wirkte nicht mit. Seine Vorstellung hätte vermutlich allein den Umfang des Buches sprengen müssen – Salbei für die sensible Dichterseele. Denn Walter Moers und Hildegunst von Mythenmetz sind eine Geschichte für sich. Pseudonyme verwenden Autoren häufig, doch hier hat sich Walter Moers ein Neues Ego geschaffen, das seine TV-Auftritte übernimmt, für Interviews zur Verfügung steht und sich auch vor den Fotoapparaten nicht verkriecht. Hildegunst von Mythenmetz wird als Autor der Zamonien-Romane dargestellt, Walter Moers ist lediglich der Übersetzer, der – wie der leicht überheblich dargestellte Lindwurm Mythenmetz behauptet – seine Arbeit schlampig durchführt. Ein vergleichbares Autoren-Pseudonym-Paar gibt es in der Literaturgeschichte nicht. Ein intelligenter Schachzug eines phantastiereichen Mannes, der schreiben und Bücher veröffentlichen möchte, dazu aber nicht in die Öffentlichkeit treten will. Sein Lieblingsaufenthaltsort scheint somit ein anderer zu sein. Darum begeben wir uns jetzt auch dort hin: Nach Zamonien.
Zamonien – Das Lexikon und sein Inhalt
Zamonien ist ein Kontinent, ein aus den Moers’schen Gehirnwindungen entstandener Planet, der im Laufe der Jahre gewachsen ist. Ein Ort, an einem Ort, in einem Ort mit einer eigenen Entstehungsgeschichte, zahlreichen, dort lebenden Wesen und einer ständig erweiterbaren Handlung.
Doch wer erinnert sich noch an jedes Detail, jede Figur, die einen Haupt- oder Nebenauftritt in einem Zamonien-Roman hatte? Wer die Bücher gelesen und irgendwann ins Bücherregal gestellt hat, vergisst vielleicht nicht, was das Orm ist, aber fragt sich vielleicht doch nach einer Weile, wer oder was ein Bolloggkopf darstellen soll und wieso Tratschwellen genauso heißen wie sie eben heißen?
Wo liegt der Große Wald, die Tatzeninsel oder Vielwasser? Warum ist die Süße Wüste nicht sauer, und was geschah nochmal in Gralsund?
Wer weiß es? Finger hoch!
Antworten fallen selbst dem Autor schwer, denn im Laufe der Jahre ist der Kontinent gewachsen, neue Kreaturen wurden gezüchtet, Ideen verarbeitet.
Kein Wunder, dass Walter Moers … hüstel … Hildegunst von Mythenmetz natürlich, nicht mehr weiß, welche Wege von A nach B und zu Z führen. So viele Notizbücher können gar nicht beschrieben, katalogisiert und sortiert werden.
Ausführliche Passagen der Personen und Geschehnisse bringen den Leser zurück in die zamonischen Geschichten. Ein Deja-vú folgt dem anderen, aber auch Fragen und die logischerweise passenden Antworten dazu, wie »War das so? – Weiß ich nicht mehr!«
So oder so: Das Lexikon bietet Begegnungen mit alten Bekannten und skurrilen Typen und macht Spaß – nicht nur der Texte wegen, sondern auch Dank der ca. 300 Zeichnungen, die Erklärungen, Zitate, Informationen und Textpassagen aufpeppen und die Erinnerung auch visuell zurück- oder näherbringen.
Das Lexikon ist für Fans, macht Lust einen Roman wieder zu lesen und bereitet auf kommende Romane vor, aber es bietet auch für Neulinge einen idealen Einstieg und die Möglichkeit, sich an einen Zamonien-Roman heranzuwagen. »Zamonien« ist jedoch nicht nur ein Nachschlagewerk für den Leser, sondern auch für den Autor selbst.
Allerdings – so heißt es schon im Vorwort – nicht der Weisheit letzter Schluss. Fragen, Informationen und Fehler sollen aufgedeckt und ergänzt werden, auch gerne durch Mithilfe der Leser. Eine E-Mail-Adresse wird angegeben.
Fazit
Als Lexikon erkennbar, jedoch mit Wortwitz und über 300 Zeichnungen sollte »Zamonien« als Vorlage für zukünftige Schulbücher und Lexika gelten, denn dieses Nachschlagewerk beweist, dass Wissen nicht nur Nacht, sondern auch richtig unterhaltsam sein kann. Ein Muss für Moers-Fans und Zamonien-Reisende – und alle, die es werden möchten.
»Zamonien« ist auch als Hörbuch-Download für 13,95 € und als CD erhältlich, was die Suche einzelner Orte, Personen und Geschehnisse für 19,99 € erleichtert. Schmökern macht aber nur im Buch richtig Spaß.
2014 erscheint der Wandkalender zum Buch. Für Moers-Fans ein Highlight für jeden Monat. Bunte Bilder des Kontinents, von dem uns Hildegunst von Mythenmetz so phantasiestarke Geschichten zu erzählen weiß, und die ein Walter Moers mit viel Wortwitz und literarischem Spaß übersetzt.
Anja Dollinger
Walter Moers
Zamonien
Knaus Verlag, Oktober 2012
Hardcover mit Lesebändchen
Gestaltung Michael Schmitt
ISBN 978-3813505306
312 Seiten
22,99 €
Im Web
- Das Buch beim Verlag mit Trailer, Informationen und Tipps
- Offizielle Webseite
- Walter Moers hier im Blog: Rezensionen, Infos, Links
- Zamonien bei amazon
© Fotos/Grafiken: Walter Moers, Musical Blaubär, Knaus Verlag
© Text: Nicole Rensmann
Vielen Dank an den Knaus Verlag.
*Rezension: »Der Schrecksenmeister« von Walter Moers
Lange haben die Fans auf den neuen Roman von Walter Moers warten müssen. Nun ist »Der Schrecksenmeister« endlich erhältlich. Und von der Ausstattung her lässt das Hardcover wieder einmal keine Wünsche offen. Mit den zahlreichen Illustrationen wirkt auch dieses Buch wie eine limitierte Luxusausgabe. Schutzumschlag, Lesebändchen und der gelbe Schnitt an der Oberkante runden das Erscheinungsbild ab.
»Der Schrecksenmeister« ist ein kulinarisches Märchen aus Zamonien von Gofid Letterkerl, neu erzählt von Hildegunst von Mythenmetz, aus dem Zamonischen übersetzt und illustriert von Walter Moers. So lautet der komplette Titel des Buches. Und schnell wird klar: Auch bei diesem Roman widmet sich der Autor in typisch zamonisch-verdrehter Manier einem verstorbenen deutschen Schriftsteller. Gofid Letterkerl ist natürlich Gottfried Keller, und die Geschichte, um die es in »Der Schrecksenmeister« geht, handelt von Kellers Märchen »Spiegel, das Kätzchen«.
Walter Moers taufte Spiegel in Echo um und aus dem Kätzchen wurde ein zamonisches Krätzchen. Mit den bereits in dem Buch enthaltenen Nachwörtern, dem Artikel von Walter Moers in DIE ZEIT und dem Interview in ASPEKTE über Plagiate, nimmt er mögliche Vorwürfe bereits vorweg. Ob Walter Moers bei Gottfried Keller nun geklaut hat, oder sich lediglich die Idee zu Nutzen machte, muss wohl jeder selbst urteilen.
Zur Geschichte
Echo ist das vermutlich letzte zamonische Krätzchen, das zwar wie eine Hauskatze aussieht, jedoch über zwei Lebern und ein fotografisches Gedächtnis verfügt. Außerdem kann Echo sprechen, was die Kommunikation mit all den wundersamen zamonischen Wesen durchaus erleichtert.