Der Abschlussband der Tintenwelt-Trilogie ist genauso liebevoll gestaltet wie seine Vorgänger: mit Lesebändchen Illustrationen der Autorin und Zitaten aus unterschiedlichen Büchern vor jedem Kapitel. Doch der Inhalt vermochte mich nicht so zu fesseln, wie es »Tintenherz« und »Tintenblut« gelang.
Endlich ist Mo wieder mit seiner Familie vereint, Resa – seine Frau – ist schwanger und Meggie zum ersten Mal verliebt; in Farid, der jedoch nichts mehr liebt, und vermisst als den verstorbenen Staubfinger. Aber ist er wirklich tot? Oder wird es eine Möglichkeit geben, Staubfinger aus den Fängen der Weißen Frauen zu befreien?
Meggie sieht Farid nur selten, denn er dient Orpheus, der ihm versprochen hat, Staubfinger wieder lebendig zu schreiben. Denn Orpheus kann die Geschichte weiterspinnen, doch dafür verwendet er keine eigenen Wörter, er stiehlt sie aus dem einzigen noch bestehenden Buch »Tintenherz«, das Fenoglio verfasst hat. Orpheus bindet Farid jedoch an sich mit dem Versprechen, wenn er ihm nur lange genug dabei geholfen hat, all die herbeigeschriebenen Goldschätze auszugraben, Staubfinger wieder zum Leben zu erwecken.
Mo, einst Buchbinder und als Zauberzunge bezeichnet, der in der Lage ist, eine Geschichte so zu lesen, dass sie lebendig wird, erhält nun einen weiteren Namen: Der Eichelhäher. Mit der Zeit ist es mehr als nur ein Name, es ist eine Rolle, die sein Leben zu zerstören scheint. Denn jeder Bösewicht ist darauf aus, den Eichelhäher, der vom armen Volk geliebt wird und mit den Räubern im Wald lebt, zu töten. Und er – der Eichelhäher – will nichts anderes als die Lieder, die ihm gewidmet sind, zu erleben und wahr werden zu lassen. Auf Resas Flehen hin, mit ihm in die Realität zurückzukehren, reagiert er nicht mehr.
Dort, in der Realität, wo Elinor um ihre Familie trauert und nichts mehr ersehnt, als ebenfalls in die Tintenwelt gelesen zu werden, nur um bei ihnen zu sein…
Doch es ist eine gefährliche Welt, eine Welt, die zwischen den Buchdeckeln eines in unserer Welt vergriffenen Buches bestand hat. Und längst vermischt sich Phantasie mit Realität. Niemand weiß mehr, ob die Welt wirklich allein von Fenoglio stammt, dem wahren Autor der Tintenwelt und ebenfalls aus der Realität nach Ombra gelesen. Oder wer neben dem gierigen Orpheus sonst noch an dieser Geschichte mit schreibt. Die Worte gehorchen nicht, die Protagonisten nehmen ihren eigenen Weg auf und die Fäden selbst in die Hand.
Genauso wie viele Schriftsteller die Entwicklung einer Geschichte erklären, beschreibt Cornelia Funke diese wundersame Magie in ihrem Roman. Doch sie beschreibt zu viel. »Tintentod« ist überfrachtet mit Personen und Wesen, mit Magie und Geschichten, die Handlungsfäden teilweise zu komplex, sodass es einem schwer fällt, zu den einst lieb gewonnenen Menschen – Maggie, Elinor und Mo – zu finden. Auch die vielen Perspektivenwechseln verwirren.
Zudem breitet sich zwischen den Zeilen eine tiefe Trauer aus, ein Schmerz, der aber nur unterschwellig verbreitet wird, so als wolle sie das Gefühl nicht zulassen. Dabei gab es so viele traurige Stellen, doch Cornelia Funke dreht auf dem Absatz herum, und widmet sich rasch einem anderen Kapitel, so als wolle sie sich diesem Schmerz, dieser Trauer nicht hingeben.
Vielleicht hängt das mit ihrem persönlichen Schicksal zusammen – dem Tod Ihres Mannes Anfang letzten Jahres. Denn »Tintentod« muss in etwa danach entstanden sein.
Auch die Geschichte handelt von Verlust und Tod, Trauer und Hoffnung, Auferstehung und tödlicher Bedrohung, Schuldgefühle, Angst und Liebe.
Auffallend sind die unzähligen Actionszenen, die Schlachten, das Blut, das Feuer, die Gewalt, die Folterungen und Androhungen, die mir die Magie der ersten Bücher mit einem blutverschmierten Schwert zerstört haben. Da werden Genicke gebrochen und Soldaten abgestochen, Menschen verbrannt, Kinder geraubt oder zu Tode getrampelt.
»Tintentod« ist ein Märchen, voller Prinzen, Soldaten, Magie, Geschichtenschreiber, Feuerzauberer, Kerker und Schwerter, Riesen und seltsamen Wesen – es ist eine dunkle, grausame Geschichte geworden: Eine Tintenwelt – geschrieben mit spitzer, schwarzer Elsterfeder und blutiger Tinte.
Und trotzdem:
Es ist ein spannender Roman, eine tolle Geschichte, mit Unmengen von fantastischen Ideen und märchenhaften Ausdrücken, unterschwelligen Bemerkungen über das Schreiben; Eine bezaubernde Geschichte um Worte und Buchstaben, geschrieben oder gelesen.
Und so werden auch hier die Szenen noch einige Zeit nachhallen und die Hauptcharaktere für ein paar Tage in meinem Kopf herumspuken.
Abschließend:
Mit einem Lächeln habe ich registriert wie filigran – und für den ahnungslosen Leser kaum zu bemerken – Cornelia Funke auf Schreibblockaden, Ideenklau und Plagiat eingeht – sie verknüpft diese Elemente wie selbstverständlich in der Tintenwelt.
Die Idee seine Protagonisten zum Leben zu erwecken und sich selbst in die eigene Geschichte zu befördern, hat für einen Autor einen wunderbaren Reiz. Sie hat diese Idee wahr gemacht. Allein das zeichnet diese Trilogie aus, auch wenn der dritte Band für meinen Geschmack zu den ersten beiden Bänden nicht so recht passen will.
Cornelia Funke
Tintentod
Mit Illustrationen der Autorin
Cecilie Dressler Verlag, September 2007
Hardcover, 760 Seiten
ISBN 978-3-7915-0476-6
19,90 Euro
Webtipps:
Links hier im Blog:
Interview mit Cornelia Funke von 2005
Rezension »Herr der Diebe«