Der erste Satz

Den ersten Sätzen eines Romans widmet ein Autor meist sehr viel Zeit. Sie sind entscheidend für den Leser, ob er das Buch kauft oder doch lieber auf den Stapel zurücklegt. In vielen Büchern über das Schreiben, in Kolumnen oder Foren wird der erste Satz heißt diskutiert und immer wieder vorgehoben. Selbst wer bei google »Der erste Satz eines Romans« eingibt, wird feststellen, wie viel Wert darauf gelegt wird.

Was ist wichtig? Was gehört in den ersten Satz? Was verrät der Satz über die Geschichte, den Protagonisten, den Ort? Wie tief soll der Leser mit dem ersten Satz in der Story stehen? Wie neugierig macht der Einstieg auf den Rest des Romans? Soll er lieber knapp oder ausführlich formuliert werden?

Ich möchte euch eine Analyse nachfolgender Beispiele ersparen, denn ich bin der Meinung, jeder unten aufgeführte Satz spricht für sich und beantwortet die obigen Fragen.

Der erste Satz ist wichtig! Aber ein genialer erster Satz allein macht noch keinen Bestseller.

Sehen wir uns nun die Einstiege der Bücher an, die griffbereit auf meinem Schreibtisch liegen oder die ich für diesen Anlass aus dem Regal gezogen habe:

Bei Mehrteilern dürfte es schwierig sein, den Leser bereits mit dem ersten Satz zu fesseln und gleichzeitig an die vorangegangen Bücher anzuknüpfen.

 

Jasper Fforde in »Es ist was faul« versucht es so:

Gemessen an seiner literarischen Bedeutung hatte uns der Minotaurus schon viel zu viel Ärger gemacht.

 

Dean Koontz gilt nicht nur als Meister des ersten Satzes, er ist auch bekannt für seine Vorliebe des langen Satzes:

»Kalt«

Kurz bevor er bewusstlos geschlagen und an einen Stuhl gefesselt wurde, bevor man ihm gegen seinen Willen eine unbekannte Substanz injizierte und bevor er herausfand, dass die Welt auf eine bislang unvorstellbare Weise zutiefst geheimnisvoll war, verließ Dylon O´Conner sein Motelzimmer und ging über den Highway zur hell erleuchteten Filiale eines Fastfoodkonzerns, um Cheesburger, Pommes frites, Apfeltaschen und einen Milchshake mit Vanillegeschmack zu besorgen.

 

Stephen Kings Sohn Joe Hill hält die ersten Sätze in den Romanen seinen Vaters nicht für preiswürdig und versucht es nun selbst:

Joe Hill »Blind«

Jude besaß eine Privatsammlung.

 

Zum Vergleich, »Das Bild – Rose Madder« von Stephen King:

Sie sitzt in einer Ecke und versucht, Luft in einem Zimmer einzuatmen, in dem es bis eben noch genügend gegeben hat, die aber nun völlig verschwunden zu sein scheint.

 

Dan Simmons mag es in »Die Feuer von Eden« ebenfalls knapp:

Zuerst schreit nur der Wind.

 

Robert Schneider in »Schlafes Bruder« versucht es folgendermaßen:

Das ist die Geschichte des Musikers Johannes Elias Alder, der zweiundzwanzigjährig sein Leben zu Tode brachte, nachdem er beschlossen hatte, nicht mehr zu schlafen.

Und diesen hier kennen sehr viele: Patrick Süskind, »Das Parfum«

Im achtzehnten Jahrhundert lebte in Frankreich ein Mann, der zu den genialsten und abscheulichsten Gestalten, dieser an genialen und abscheulichen Gestalten nicht armen Epoche gehörte.

 

Wen hätten wir denn noch?

Elizabeth Kostova »Der Historiker«

Im Jahr 1972 war ich sechzehn – zu jung, sagte mein Vater, um ihn auf seinen Reisen in diplomatischer Mission zu begleiten.

 

Sehr gut gefiel mir übrigens der erste Satz von Christoph Marzis »Lycidas«

Die Welt ist gierig und manchmal verschlingt sie Kinder mit Haut und Haaren.

 

Als letztes Beispiel »Der letzte seine Art« von Andreas Eschbach:

Am Samstagmorgen erwachte ich blind und halbseitig gelähmt.

 

Und? Welches Buch würdest du anhand des ersten Satzes nun sofort kaufen?

 

Mach es wie die Gebrüder Grimm: Erzähl es weiter.