Rezension: „Echo“ von Thomas Olde Heuvelt / Heyne Verlag

In den letzten Monaten habe ich vermehrt Klassiker gelesen, wie Charles Dickens oder mich in den Märchen von Grimm, Andersen und Hauff verloren. Vor allem aber weibliche Autorinnen zogen bei mir ein – nur die Bücher natürlich, die Damen sind längst verstorben: Angela Carter, May Gibbons oder Charlotte Perkins Gilman. Nun hatte ich aber mal wieder Lust auf einen guten Horror-Roman und dabei stieß ich auf Thomas Olde Heuvelt, der mit Stephen King verglichen wurde. Ich reagiere ein bisschen allergisch auf diese Vergleiche, trotzdem habe ich das Buch beim Verlag angefordert und mich über das Rezensionsexemplar gefreut.

Über den Autor

Thomas Olde Heuvelt, Jahrgang 1983, wurde in den Niederlanden geboren. Zahlreiche seiner Kurzgeschichten wurden für den Hugo Award und den World Fantasy Award nominiert. Seine Story „The Day the World turned upside down“ gewann 2015 den Hugo Award. Mit seinem Roman „Hex“ gelang ihm der internationale Durchbruch.
Wer mehr über ihn erfahren will, sollte dem Autor in den Sozialen Medien – Twitter und Instagram – folgen, dort ist er sehr aktiv und hält seine Fans auf dem Laufenden, auch über private Aktivitäten.

Über das Buch

Erster Satz: „Julia sieht die Menschen unten an der Stiege, als sie nachts pinkeln muss.“*

Inhalt

Während einer Bergtour verunglückt Nick schwer und schaut dabei in die Untiefen des Berges, im wahrsten Sinne. Das verändert ihn massiv. Seine Beziehung zu Sam wird zur Zerreißprobe.

Denn schnell wird klar, das war kein normaler Absturz. Das Gesicht entstellt und zunächst von Schmerzmittel umnebelt steckt er seinem Freund und Lebenspartner Sam einen Zettel zu, er solle nicht glauben, was die Ärzte sagen. Zuerst versucht Sam zu verstehen, was Nick damit meint und findet in einer Krankenschwester eine Verbündete. Sie treffen sich im Café, um darüber zu sprechen. Am nächsten Tag rennt die taffe Schwester laut schreiend aus dem Krankenzimmer und verschwindet dauerhaft. Während eine andere Schwester Nicks entstelltes Gesicht verbindet, kann Sam einen Blick auf Nicks Verletzungen werfen. Diese Umschreibungen sind kryptisch und wirken, als sei auch Sam seltsam verwirrt. Anstatt bei Nick zu bleiben, das Geheimnis zu lüften und seinem Partner die Hand zu halten, flüchtet Sam nach New York.

Hier halte ich das erste Mal inne und frage mich: Warum? Will er nicht herausfinden, was geschehen ist? Ist die Angst, dass seine große Liebe nun entstellt ist – und darum geht es in den nachfolgenden Textseiten – so massiv, dass er sich in einen Flieger setzen und untertauchen und dort leben muss, als sei nichts geschehen? All das und seine Gefühle dokumentiert er für die Nachwelt. Ich gebe Sam eine weitere Chance – Charaktere handeln nicht immer wie Leser*innen es wünschen, sie dürfen sich entwickeln.
Und was war das mit der Krankenschwester?

In New York geht Sam mit seiner Schwester Julia (die aus dem ersten Satz) feiern, ein One-Night-Stand inklusive. Seine Reaktion darauf, dass das Gesicht seiner großen Liebe nicht mehr perfekt ist.
Das erwähne ich erneut, weil diese Perfektion bei Sam eine große Rolle spielt.

Und dann folgt ein neues Kapitel dieser Episode – Seite 115 – ich fliege schon wieder aus der Leseflusskurve.

Ich frage mich, ob die Kapitel vielleicht durcheinander geraten sind, ob ich mehr Vitamin B nehmen muss, um mich besser konzentrieren zu können oder ob ich schlichtweg zu alt für diesen „Scheiß“ bin.
Ein paar Stunden später versuche ich erneut in Sams Rückblick einzutauchen wie er Nick kennengelernt hat. Und dann zerrt mich die Geschichte wieder ein Stück voran, denn schreiben kann er, dieser Thomas Olde Heuvelt. Auf S. 144 wird dann klar, warum Sam nicht bei Nick sein kann. Seine Vorgeschichte trägt dazu bei. Dennoch können mich Sam und Nick nicht dauerhaft überzeugen und ich lege das Buch schon wieder müde zur Seite.
Nach mehreren Wochen will ich es noch mal versuchen. Für einen Moment bin ich gebannt, interessiert, aber es bleibt leider dabei und ich finde keinen Zugang zu den Protagonisten.

Aufbau und Stil des Romans

„Echo“ baut sich zu Beginn wie eine Art Episodenroman auf. All diese Episoden werden mit einem Zitat aus einem bekannten Buch eingeleitet. Jede Episode steht für sich, wird von einer anderen Person oder mithilfe eines anderen Stilmittels erzählt. Verbunden sind diese Episoden durch dieses einzige, spezielle Ereignis. Kaum bin ich mit einer Person und einem Stil warm geworden, werde ich schon wieder in den nächsten Akt katapultiert. Las sich der Text eben noch im Perfekt aus auktorialer Erzählsicht, bin ich nun beim Ich-Erzähler, der im Präsens seine Geschichte schildert. Dann folgt eine Episode in E-Mail-Form, der Erzähler, ist dieses Mal Nick, der auch in der nächsten Episode bleibt, aber nun einen Erlebnisbericht vorlegt. Diese Einträge sind mühsam zu lesen, langatmig und bringen die Story nur bemüht voran, auch die nachfolgenden Aufzeichnungen Sams ändern nichts daran.

All das ist für den Leser zu Beginn des Buches sehr verwirrend und zeigt, dass der Autor in der Lage ist, unterschiedliche Stile und Erzählweisen zu verfassen, bietet aber kein angenehmes Lesevergnügen.
Die ersten fünfzig Seiten lasen sich spannend, ich war interessiert und konnte das Buch nicht weglegen. Das änderte sich und ich musste mich massiv durchkämpfen. Irgendwo auf Seite 165 holte mich der Roman dann auf eine andere Weise ab. Ich ließ mich auf Heuvelts poetischen und sprunghaften Erzählstil ein – leider nur bis ich kapitulierte.
Immer wieder lege ich das Buch zur Seite, tagelang, doch abbrechen will ich es nicht. Ich lese, finde die Beschreibungen und Sätze genial, drei Abschnitte weiter langweilige ich mich und frage mich, was der Autor mir damit sagen will. Ich lese. Wow. Ich lese. Häh? Ich lese. Großartig. Ich lese. Ach, nee. Es ist ein Auf und Ab und bei der Dicke des Buches sind die Abs leider nicht nur wenige Zeilen, sondern oftmals seitenlang. Das ist anstrengend, wenn noch fünfhundert Seiten vor einem liegen.

Die Idee ist großartig und hat vermutlich für Bergsteiger eine tiefere Bedeutung als für den unsportlichen Sofa-Leser.

Immer wieder setzt der Autor verheißungsschwangere Sätze ein, die wissen lassen, hier passiert noch was. Das ist nett, ich mache das selbst auch schon mal, aber zugegeben, Stephen King kann das schlichtweg besser als wir und vor allem kommt dann auch was. In „Echo“ warte ich wiederholt darauf, dass die Geschichte an Fahrt aufnimmt und ich endlich erfahre, was eigentlich passiert ist. Je nach Episode und Erzähler wirkt es, als würde er den Leser und die Leserinnen direkt ansprechen. Ich fühle mich aber nicht angesprochen, sondern fehl am Platz.

In seinem Nachwort beschreibt der Autor seinen überraschenden Erfolg mit „Hex“ und die anschließende Schreibblockade, unter die er litt. Er war, sagt er, dem Druck nicht gewachsen, hatte aber viele helfende Menschen an seiner Seite, bei denen er sich bedankt.

Fazit

„Echo“ ist – zumindest auf den ersten 300 Seiten – kein Horrorroman im klassischen Sinne, sondern die Liebesgeschichte von Nick und Sam, ihr Leben und die Art wie sie mit einem Schicksalsschlag umgehen. Der Roman ist ein Drama, ein bisschen Familiengeschichte und ein Erfahrungsbericht. „Echo“ von Thomas Olde Heuvelt ist kein Roman für Jeden und nicht unbedingt für Stephen King Leser. Der Vergleich hinkt nicht nur, er hat kein Bein, um darauf stehen zu können. Das bedeutet aber nicht, King sei besser als Heuvelt – sie sind nicht vergleichbar.
Sicher steckt in diesem Buch ein kleines Meisterwerk für das sich Leser*innen Zeit nehmen müssen, um die Zusammenhänge zu verstehen. Mir haben sie sich nur bedingt erschließen können, aber meine Zeit ist auch knapp. Was mir gefallen hat ist sein Schreibstil und ich wünschte, es wäre ihm gelungen mich mit der Handlung dauerhaft durch seinen Roman zu tragen. So war es für mich ein schwerer Akt, den ich in der Mitte abbrechen musste.

Thomas Olde Heuvelt
ECHO
Aus dem Niederländischen von Gabriele Haefs
Paperback, Klappenbroschur
Heyne Verlag
ISBN 978-3453320987
720 Seiten, 17,- €

Auch als E-Book und Hörbuch erhältlich.

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