Tim Raue. Ein Koch. Einer mit Sternen und Michelin-Punkten.
1974 in Berlin-Kreuzberg geboren, begann er mit 17 Jahren seine Ausbildung zum Koch. Bereits mit 23 übernahm er seine erste Stelle als Chefkoch im Restaurant Rosenbaum. Dem folgten zahlreiche weitere Stationen, die ihn dahin brachten, wo er heute steht – im Restaurant Tim Raue in Berlin und den 34. Platz auf der Liste von The World´s 50 Best Restaurants.
Wer hat schon einmal bei Tim Raue gegessen? Hand hoch!
Ich auch nicht. Doch er ist auch als TV-Koch bekannt und »Kitchen Impossible« ist mir ein Begriff, gesehen habe ich die Sendung allerdings noch nie. Das wollte ich ändern. Ab zu TVNow surfen, Sendung auswählen und … ekeln. In einer der Folgen wird Tim Mälzer von Tim Raue nach Hongkong geschickt. All die „kulinarischen“ Eroberungen erinnern mich an Dschungelcamp. Die Vorschau und Einblendungen anderer Folgen bestätigen: Kitchen Impossible scheint die beste Vorbereitung für zukünftige Dschungelcamp-Kandidaten zu sein. Okay. Ich enthalte mich.
Ob in seinem neuesten Buch, das nicht nur sein Koch-, sondern auch das Lebenswerk darstellt, Fischaugen, Seegurken und Hühnerfüße kredenzt werden? Ich habe reingeschaut.
Zum Buch
Das 288 Seiten dicke und quadratische großformatige Buch beginnt und endet mit ganzseitigen Farbfotos. Eine winzige Info irgendwo in einer Ecke, was dieses und jenes Bild bedeutet (für Tim Raue) oder wo sich das Haus, der Typ, die Straße befindet, hätte ich großartig gefunden, denn ich kenne mich in Berlin nicht besonders gut aus.
Nach den großen bunten Bildern wird das Inhaltsverzeichnis puristisch dargestellt – das passt gut.
Tim Raue beginnt mit seinem Vorwort, Klaus Wowereit setzt noch eins dran.
Der erste Teil des Buches handelt von Tim Raues Leben, ab Seite 90 stellt er seine minimalistisch-kreativen Gerichte vor.
Nicht unerwähnt bleiben sollen die Fotografen: Joerg Lehmann setzt die Gerichte bildlich in Szene, Nils Hasenau hält das Leben in Bildern fest. Ausführliche Biografien beider Fotografen befinden sich am Ende des Buches.
Kurzer Einblender zu Stil & Lektorat
Ein Tippfehler, ein fehlendes Komma, mal ein Satz, der nicht 100% passt – wenn diese Fehler vereinzelt vorkommen, will ich gerne darüber hinwegsehen, doch falls nicht, erwähne ich das, wie kürzlich in einer Rezension.
Hier ist das anders (einen Satzfehler habe ich entdeckt, ich suche nicht danach). Der Autor setzt Tim Raues Leben großartig in Szene. Der erste Abschnitt aus Erzählersicht reißt mich mit. Danach, wenn Tim Raue zu erzählen scheint, sitzt jeder Absatz. Bäng, bäng, bäng. Das passt alles super zu Tim Raues Leben, seinem Auftritt.
Mir macht es Spaß den Text zu lesen. So möchte ich das – auch in einem Kochbuch bzw. in einer Biografie – da besonders.
Meinen Respekt, meinen Glückwunsch, mein Dank an Autor Stefan Adrian und das Lektorat von Bookwise Medienproduktion GmbH. So geht es eben auch.
Was habe ich daraus gekocht oder wie sind die Rezepte?
„Wenn man zu den Besten gehören möchte, muss man mit der besten Software und Hardware arbeiten. Sie müssen sich also darüber im Klaren sein, dass es einen enormen Aufwand bedeutet, die Rezepte im Gesamten nachzukochen. … Die Rezepte sollen für Sie eine Inspiration sein, ein Denkanstoß, und gerne auch eine Herausforderung.“ (Zitat, Tim Raue)
Die Rezepte sind außergewöhnlich. Die Mengenangaben sind homöopathisch. Zwei-Sterne-Küche.
Die Zutaten sind exotisch. Platz 34 The World´s 50 Best Restaurants.
Obwohl sich auf S. 285 eine kurze Lieferanten – und Produktliste befindet, bin ich nicht geneigt Produkte zu kaufen, die ich vermutlich nie wieder benutzen werde. Ich gebe gerne Geld für Lebensmittel aus, muss dahinter aber einen Sinn erkennen, den sehe ich – für mich – bei Norialgen-Pulver, Jiaqgulan Blättern oder Kamebishi-Sojasauce nicht.
Nenn mich gewöhnlich.
Tim Raue schwört auf seinen Thermomix – ich habe keinen.
Tim Raue meint, nur mit Hilfe eines Vakuumierers ist sous vide garen möglich, stimmt – ich habe trotzdem keinen.
Der Cook‘ n Hold ist großartig, sagt Tim Raue und meint, dieser könne daheim durch eine Wärmeschublade ersetzt werden. Ich habe weder das eine noch das andere.
Und so stelle ich fest, dass sich meine kulinarische Philosophie mit der von Tim Raue, der das Großartigste will, nicht deckt. Aber: Er ist Sternekoch, ich bin Nicole.
Ich bin gewöhnlich. Darum gibt es Vanillepudding für alle.
Denn ab S. 253 findet sich die Antwort auf alle Fragen (Douglas Adams lässt grüßen):
42 Grundrezepte.
Knapp gehaltene, bilderlose Rezepte für z.B. Chefsauce, Geflügelfond oder Topinamburpüree. Zitronenöl oder – auch fein – Petersiliencreme aus Petersilienwurzeln. Die muss ich machen.
Die Nummer 36 ist der Vanillepudding. Den habe ich gekocht. Allerdings nicht in einer Sauteuse – hatte ich auch nicht -, es musste also ein gewöhnlicher, dafür sehr hübscher Topf herhalten. Nenn mich Rebell.
Ich habe die Menge vervierfacht (abgesehen vom Eigelb), somit ergab der Vanillepudding drei Portionen – das passte für uns. Und geschmeckt hat er auch – der Vanillepudding á la Tim Raue.
Fazit
Tim Raue hat einen außergewöhnlichen Weg hinter sich. Er war stets ein Kämpfer – erst auf der Straße, dann in der Küche.
Diese Eigenschaft, kombiniert mit Disziplin, hat ihn zu einem der erfolgreichsten Köche gemacht. Dafür zolle ich ihm meinen Respekt.
Sein Buch ist ein persönliches, schön gestaltetes Koch- und Lebenswerk, das ich jedem, der sich für Lebensmittel und Kochen interessiert, empfehlen kann. Denn nicht immer müssen die Gerichte eines Sternekochs nachgekocht werden – manchmal sind die ästhetischen Fotos der fein arrangierten Zutaten der Hochgenuss.
In »My Way« ist dem so!
:
Tim Raue
»My Way«
Callwey Verlag, Januar 2017
Großformatiges Hardcover, 288 Seiten
ISBN 978-3766722652
49,95 €
Das Buch ist auch in einer limitierten Sonderausgabe mit Geschenkbox sowie in Englisch erhältlich.
Webtipps
- Restaurant Tim Raue in Berlin
- Artikel Tagesspiegel 07.04.2016, „Tim Raue und seine Frau trennen sich“ von E. Binder
- Kitchen Impossible auf TV Now
- Das Buch bei amazon kaufen.
© Cover: »My Way« von Tim Raue / Callwey Verlag
Vielen Dank an den Callwey Verlag für die Zusendung des kostenlosen Rezensionsexemplars.