In der 33. Ausgabe von phantastisch! (Januar 2009) erschien das Interview mit Martin Clauß.
»Ich wünsch mir mindestens zwanzig Bücher zu veröffentlichen.«
Interview mit Martin Clauß von Nicole Rensmann
Als Martin Clauß 1967 in Esslingen geboren wurde, ahnte er sicherlich nicht, dass er sich eines Tages einem völlig anderen Kulturkreis widmen würde. Doch spätestens 1989 wurde ihm klar, wie sehr ihn Japan faszinierte, denn nach seinem Japanologie-Studium an der Universität Tübingen, folgten ein halbes Jahr Aufenthalt in Kyôto an einer Sprachschule und ein weiteres Jahr an der Rikkyô-Universität in Tôkyô.
Seit 1989 unterrichtet er an der Volkshochschule Esslingen japanisch. Auch zuhause wird japanisch gesprochen, denn 2000 heiratete Martin Clauß eine Japanerin. Mit seiner Frau Maho und seiner Tochter Alisha lebt er in Esslingen.
2005 druckte er bei BOD »Das große Anime Lösungsbuch: Endlich Japanisch verstehen!« Die Romanfortsetzung »Falkengrund – Schule des Okkulten« gab er selbst als ebook heraus. Band 1 »Das Schloss und seine Geister« erschien im April 2007 in Buchform bei Verlag Romantruhe. Weitere Bände sind derzeit allerdings nicht geplant.
2007 erschien dann sein Roman »Der Atem des Rippers« beim Atlantis Verlag, dem folgte »Die Saat der Yokai« von Martin und Maho Clauß beim Ueberreuter Verlag – ein Roman, dessen Handlung in Japan des 8. Jahrhunderts spielt.
In deiner Vita steht, dass du schon an die hundert Erzählungen veröffentlicht hast, eine Bibliografie fehlt. Wo können deine Fans suchen, um restlos alle Geschichten von dir lesen zu dürfen?
Zuerst bei Ebay, um an die alten Fanzines zu kommen, von denen es die auflagenschwächsten auf knackige dreißig Exemplare gebracht haben. Dann auf illegalen eBook-Seiten, um schwarze Kopien von eBook-Serien wie „Aikos Spur“ oder „Falkengrund“ aufzutun. Zuletzt müssten die Hardcore-Fans bei mir einbrechen und sich die mehreren hundert gänzlich unveröffentlichten Geschichten auch noch unter den Nagel reißen. Ich gestehe, gotteslästerlich viele kurze Erzählungen verfasst zu haben, von denen höchstens ein paar die Dauerkarte fürs Story-Limbo nicht verdienen. Jemand hat mal gesagt, jeder Schriftsteller habe eintausend schlechte Geschichten in sich, die er erst schreiben müsse, ehe er an die guten komme. Eine tröstliche Nachricht an alle, die meine Schreibe nicht mögen: Ich bin bald damit durch!
Wann hast du festgestellt, dass dich Japan so fasziniert und du dem Land und den Menschen mehr als nur ein Studium widmen möchtest?
Ein unbändiges Interesse für alles, was fern, fremd und anders ist, begleitet mich schon immer. Diese Ferne, Fremde, Andere manifestiert sich in der phantastisch-utopischen Literatur, aber auch in fernen Kulturen, vor allem Ostasien. Ich versuche vor allem das zu verstehen, was im ersten Moment unverständlich erscheint (eine Ausnahme sind Maschinen jeder Art – von Maschinen erwarte ich, dass sie undurchschaubar sind). Irgendwann beschloss ich, Japanologie zu studieren, aber das war eher Zufall. Es hätte leicht auch ein Studium der Sinologie oder Indologie werden können, denn was ich wollte, war die Konfrontation mit dem Fremden. Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass ich mich durch Japan definiere; Japan ist ein vielschichtiges Thema, mit dem ich mich immer wieder gerne beschäftige, es ist nicht mein Leben.
Du hast 1 ½ Jahre in Japan gelebt, könntest du dir vorstellen, mit deiner Familie dauerhaft nach Japan zu ziehen?
Obwohl ich sicher in den meisten Industrieländern existieren könnte, möchte ich nicht unbedingt von hier weg. Die Reizüberflutung in Japan ist enorm, ebenso der Wust an gesellschaftlichen Verpflichtungen oder der Zwang, sich kurzlebigen Modeströmungen zu unterwerfen. Anders ausgedrückt: Ich gehe mit meiner Tochter lieber auf den Spielplatz, als mir mit ihr die neusten Superlearning-DVDs reinzuziehen, für die ich mein Konto überziehe und mit denen sie ihre Gehirnleistung um 73,9 Prozent erhöhen kann. In Japan kann man sich finden, aber man kann sich auch verlieren. Selbst meine Frau scheint sich in Deutschland wohler zu fühlen. Ha!
Du gibst deiner Webseite die Überschrift: Martin Clauß – ein Leben für die Phantastik. Das klingt bedeutungsschwanger. Erinnerst du dich, welches Buch, welches Ereignis dich infiziert hat?
Es war einfach immer so. Als Kind wollte ich Märchen vorgelesen bekommen, keine Tier- oder Abenteuergeschichten. Wollte Raumschiff Monitor lesen statt Winnetou, Die Fantastischen Vier statt Tarzan, Dämonenkiller statt Jerry Cotton. Es gibt keinen Punkt, an dem das begann. Natürlich lese ich auch mal etwas nicht Phantastisches. Aber es muss schon verdammt gut sein, um mich zu fesseln. Leider interessiert mich Phantastik oft auch dann noch, wenn sie hoffnungslos schlecht ist.
Könntest du dir vorstellen, auf Anfrage auch einen reinen Liebesroman zu schreiben?
Sehr gerne! Die ersten zehn Ideen würden zwar todsicher phantastische Elemente beinhalten, aber ich würde so lange daran feilen, bis diese nichts mehr sind als lyrische Übertreibungen. Beim Schreiben macht mir fast alles Spaß, weil jede Geschichte eine neue Herausforderung ist. Ich würde nicht unbedingt einen Western, einen Lokalkrimi oder einen Arztroman lesen wollen, hätte aber durchaus Lust, das alles zu schreiben. Einen Bergroman und einen Mutterschicksalsroman habe ich zum Beispiel wirklich verfasst, ganz ohne Phantastik – beide blieben aber unveröffentlicht.
Was ist aus Falkengrund geworden? Du publiziertest die Serie als ebook. Ab 2007 sollte sie in der Romantruhe erscheinen. Es blieb jedoch beim ersten Band. Was ist passiert?
In der zweiten Jahreshälfte 2007 fand ich aus verschiedenen Gründen keine Zeit, die Vorlagen für weitere Falkengrund-Bände fertig zu stellen. Von der Romantruhe hatte ich die Info, ich könne mir beliebig viel Zeit damit lassen, was ich vielleicht etwas zu wörtlich nahm, doch Anfang 2008 musste ich von einem Unbeteiligten erfahren, dass die Serie inzwischen eingestellt worden war, ohne dass man mich informiert hatte. Wahrscheinlich ist das besser so. Falkengrund hatte als eBook erstaunlich viele Leser, fand in Buchform jedoch kaum Interessenten. Warum das so war und wie man eine Serie von modernen Grusel-Novellen so in das Druckmedium überträgt, dass der Charme einer wöchentlichen eBook-Serie erhalten bleibt, darüber und über das noch nicht geschriebene Finale der Serie denke ich seither nach. Irgendwann soll Falkengrund komplett erscheinen, aber wie, wo und wann, das steht in den Sternen.
»Der Atem des Rippers« reiht sich in unzählige Jack the Ripper-Romane ein. Was hat dich bewogen, diese Thematik noch mal aufzuarbeiten, zumal sie nur wenig phantastische Züge besitzt?
Ich habe keinen Ripper-Roman gelesen und beim Schreiben nicht darüber nachgedacht, ob der Markt einen weiteren verkraftet oder nicht. Das ist das Praktische: Wenn man im Kleinverlag publiziert, darf man auf solche Überlegungen weitestgehend verzichten. Die Schreibaufgabe, die ich mir selbst stellte, hat mich schlichtweg gereizt: einen Roman über die Ripper-Thematik zu verfassen, der sich an keiner der gängigen Theorien orientiert, sondern eine völlig andere, natürlich rein fiktionale Erklärung für die Mordserie liefert.
Wie viel Recherche steckt in dem Roman?
Weniger als bei Dan Brown, mehr als bei Dan Shocker. Für mich war »Der Atem des Rippers« der Roman, der mich die Faszination und Bedeutung der Recherche gelehrt hat. Bis dahin dachte ich immer, nur Schriftsteller, die keine Fantasie haben, müssten recherchieren … Glücklicherweise gibt es im Netz die hervorragende Casebook Jack the Ripper-Seite, sodass keine Frauen zu Schaden kommen mussten, damit ich an die relevanten Infos gelangte.
»Die Saat der Yokai« scheint – in Anbetracht der Tatsache, dass du zu Japan und der Phantastik eine starke Beziehung hast – perfekt in deine Bibliografie zu passen. Der Roman spielt in Japan und behandelt die japanische Kultur, eingebettet in eine phantastische Handlung. Deine Frau Maho hat – wie auch bei »Das große Anime Lösungsbuch: Endlich Japanisch verstehen!« – daran mitgearbeitet. Welchen Part hat sie dabei übernommen? Wie arbeitet ihr zusammen?
Die Kooperation mit Maho gestaltet sich jedes Mal anders. Beim genannten Japanisch-Lehrbuch hat sie hauptsächlich Übungsdialoge und Beispielsätze beigetragen. Bei »Die Saat der Yôkai« lieferte sie die Grundidee, entwickelte einige Personen und half mir bei der Recherche. Schon bei der Falkengrund-Serie hatte ich öfters Ideen mit ihr durchgesprochen und weiterentwickelt. Es gibt beim Schreiben Phasen, in denen ich im Alleingang arbeite, und Phasen, in denen ich mir bei ihr Hilfe hole. Da Maho enorm viel liest und auf Historisches und Phantastisches steht, lohnt es sich immer, problematische Punkte mit ihr zu diskutieren. Außerdem hat sie nicht den wahnwitzigen Originalitätsanspruch, den ich mit mir herumschleppe, und erinnert mich immer wieder daran, dass ein Roman in erster Linie spannend sein muss, nicht nur skurril, komplex und neuartig …
Nach Eigendruck bei BOD, ebooks und Fanzines, bist du mit Ueberreuter bei einem Publikumsverlag gelandet. Dazu gehört viel Arbeit, der Glaube an sich selbst, Kraft und auch Glück, oder?
Das Schreiben als Arbeit zu bezeichnen, widerstrebt mir im Grunde immer noch, da es nichts gibt, was ich lieber tue und wobei ich mich besser entspannen kann. Der Glaube an mich selbst hat mir über Jahrzehnte hinweg gefehlt, weswegen ich ewig und drei Tage lang nicht den Mut hatte, mich an große Verlage zu wenden. Kraft, darüber verfügt man einfach, wenn man etwas gerne tut. Und Glück, ja, das kannst du laut sagen, das hatte ich tatsächlich mit Ueberreuter, und das zu einem Zeitpunkt, als ich es wirklich gebraucht habe.
Kannst du schon einen Ausblick auf zukünftige Veröffentlichungen und berufliche Pläne geben?
Im Sommer 2009 wird voraussichtlich ein Fantasy-Thriller von mir bei Ueberreuter erscheinen, der erneut in Japan spielt, diesmal im Japan der Gegenwart. Weitere Romane sind in Vorbereitung, wobei der Schwerpunkt vorerst bei Fantasy und Jugendbuch bleibt, allerdings nicht jedes Werk zwangsläufig einen Japan-Bezug haben muss. Zwischendurch tobe ich mich mit Kurzgeschichten aus, die z. B. in diversen Anthologien bei Ueberreuter oder kleineren Verlagen landen werden. Auch neue Japanisch-Lehrbücher befinden sich in Arbeit.
Hast du ein Vorbild, einen Menschen, einen Autor, dessen Leben oder Werk du besonders beachtlich oder bewundernswert findest?
Sowohl im Leben als auch beim Schreiben finde ich es wichtig, von jedem Menschen, der einem begegnet, irgendetwas zu lernen, sich irgendeinen Aspekt von ihm oder ihr zum Vorbild zu nehmen. Es ist erstaunlich, was man selbst von Leuten lernen kann, die man nicht einmal mag oder schätzt. Am meisten lernt man natürlich von anderen Autoren, in Büchern, im Gespräch und auch beim Lesen von Interviews.
Welches von dir gelesene Buch kannst du uneingeschränkt empfehlen?
Uneingeschränkt empfehlen lässt sich nichts, denn jeder geht mit völlig anderen Erwartungen, Bedürfnissen und Voraussetzungen an ein Buch heran. Ich würde dennoch jedem, der es noch nicht getan hat, wärmstens ans Herz legen, Hermann Hesses »Der Steppenwolf« und »Demian« zu lesen.
Ein Wunsch für die Zukunft?
Abgesehen von den Standards wie Frieden und Gesundheit, würde ich mir wünschen, in meinem Leben mindestens zwanzig Bücher veröffentlichen zu dürfen, darunter vielleicht auch eines, das mich um ein paar Jahrzehnte überdauert.
Ich danke dir für das Interview und wünsche dir alles Gute für deinen weiteren Weg.
Auch ich bedanke mich und wünsche dir dasselbe. Oder wünsche ich dir das gleiche? Muss mal meine Lektorin fragen …
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