Interview Carsten Polzin – 2007

phantastisch_27In Heft 27. – Ausgabe 3 vom Juli 2007 – erschien auch ein Interview mit Carsten Polzin, den ich als sehr offen und freundlich kennen lernen dürfte.

»Ich wünsche mir gleich eine ganze Autorin …«

Ein Interview mit Carsten Polzin von Nicole Rensmann

Er ist noch jung, doch seine Karriere nimmt einen Bilderbuchverlauf. Als er 1976 in Hannover geboren wurde, wusste Carsten Polzin jedoch noch nicht, welche Richtung er eines Tages einschlagen würde. Doch schon die Science Fiction und Fantasy, der 80 iger Jahren prägten sein Interesse an entsprechender Literatur. Während seine Jurastudiums in Hannover und Kiel stellte er sich vor später in einem Verlag zu arbeiten. Doch zunächst verschlug es ihn in die Schweiz, wo er bei der Deutschen Botschaft in Phnom Penh/Kambodscha arbeitet. Um seinem Wunsch näher zu kommen, arbeitete er ab 2001 als freier Mitarbeiter bei verschiedenen deutschen Science Fiction und Fantasy Verlagen. So verschaffte er sich einen guten Eindruck über die Szene und lernte Autoren, Lektoren und Verlagsmitarbeiter kennen.
Nach seinem Zweiten Staatsexamen, im April 2004, übernahm er bei Piper die Betreuung des Fantasy Taschenbuchs. Zum 1. Januar 2006 löste er Friedel Wahren ab und wurde Programmleiter für das gesamte Piper Fantasy Programm.
In diesem Jahr – 2007 – gehört er, als erster deutscher Lektor, der Jury des World Fantasy Awards an!
Obwohl die fantastische Literatur nicht nur beruflich, sondern auch weiterhin privat zu seinem Steckenpferd gehört, liest er heute auch Krimis und Wissenschaftsthriller. Autoren wie Douglas Preston und Lincoln Child zählen zu seinen Favoriten, auch wenn sie, wie Carsten Polzin selbst sagt »in letzter Zeit etwas nachgelassen haben«. Doch auch zeitgeschichtliche und politische Sachbücher, wie zum Beispiel »The Pol Pot Regime« von Ben Kiernan gehören auf seinen Lesestapel.

Zudem hört er sehr viel Musik: Spock’s Beard und Porcupine Tree. 2006 war er sogar in New York und hat sich am Times Square die Metal-Band Queensryche angesehen.

Carsten Polzin ist verheiratet und lebt in München.

Sie leiten jetzt seit nun mehr anderthalb Jahren das Lektorat des Piper Verlags. War es schwierig das Erbe von Frau Wahren anzutreten?

Da ich bereits seit 2004 das Fantasy Taschenbuch bei Piper betreute, war es kein Vorstoß ins Unbekannte, vielmehr eine Erweiterung des Programmbereichs, als 2006 das Hardcover hinzukam. Wir hatten, und das war sicherlich ideal, genug Zeit, einen fließenden Übergang zu gewährleisten. Natürlich ist die Zahl und Reichweite der Aufgaben gewachsen und damit auch die Verantwortung. Ich würde aber nicht sagen, dass es schwierig war, sondern eine Herausforderung, der ich mich gerne gestellt habe.

Gingen Ihre Meinungen mit denen von Frau Wahren konform, oder gab es auch schon einmal kleinere Meinungsverschiedenheiten, was die Manuskriptauswahl betraf?

Man hat schon über den einen oder anderen Titel diskutiert, ich kann mich aber nicht erinnern, dass wir uns einmal darüber in den Haaren lagen. Wir haben stets an einem Strang gezogen und gemeinsam überlegt, mit welchen Autoren und Stoffen wir diesen oder jenen Programmplatz angehen wollen. Das war eine hervorragende Atmosphäre.

Wirkt Frau Wahren ab und an noch beratend aus dem Hintergrund mit?

Die Programmplanungen und –entscheidungen obliegen mir. Friedel Wahren ist aber noch regelmäßig im Verlag, und natürlich tauschen wir uns auch immer wieder über Autoren und Romane aus. Sie verfügt über eine dreißigjährige Erfahrung, hat das Fantasy-Genre in Deutschland entscheidend mitgeprägt, und ich schätze sie sehr.

Hat sich – Ihrer Meinung nach – das Lektorat grundsätzlich verändert, seit Sie nun alleine verantwortlich sind?

Natürlich setzt jeder etwas andere Akzente. Ich möchte die Bereiche, in denen wir in den vergangenen Jahren erfolgreich waren, fortführen und ausbauen, daneben aber auch neue Autoren und Strömungen zu berücksichtigen, die es bislang in der Piper Fantasy noch nicht gab. Das sind junge, neue Stimmen aus den USA und Deutschland ebenso wie Klassiker, mit denen ich aufgewachsen bin. Ein Roman wie Michael Moorcocks „I.N.R.I.“, der lange vergriffen war, ist ein Stück unverzichtbare phantastische Literatur, die ihren Platz auf dem deutschen Markt verdient hat. Bei den Newcomern haben wir mit A. Lee Martinez einen der talentiertesten US-amerikanischen Autoren im Programm. Außerdem arbeite ich sehr gerne mit deutschen Autoren. Die außergewöhnliche Qualität, die sie inzwischen liefern, ist ein ganz wichtiger Schritt für das Genre und hat einen überaus bedeutsamen Stellenwert im Programm. Und natürlich gibt es viele neue und bekannte Namen und Bücher, über die ich noch nichts verraten kann.

Frau Wahren wünschte sich seinerzeit einen zweiten »Herr der Ringe«. Welches Manuskript wünschten Sie, einmal auf Ihren Tisch zu bekommen?

Ich wünsche mir gleich eine ganze Autorin – und zwar eine, die schreibt wie Tolkien, erfolgreich ist wie Joanne K. Rowling und aussieht wie Cate Blanchett.

Was muss ein Autor mitbringen, um bei Piper zu landen? Wie sollte sein Manuskript aussehen?

So simpel es klingt, er muss vor allem gut schreiben können. Bei den „Unverlangten“ kommt es weniger darauf an, ob 5 cm Rand und 1800 Anschläge auf der Seite stehen, sondern vielmehr auf die Qualität. Grundsätzlich gilt: Nur weil die Freundin es mochte, heißt es noch nicht, dass es gut ist. Lieber sollte man jemanden vorab lesen lassen, der einem auch mal was Böses sagt (etwa die Schwiegermutter?). Außerdem bitte nicht versuchen, nur die etablierten Vorbilder zu kopieren. Es gibt aber natürlich auch unter „Unverlangten“ immer wieder Entdeckungen. Nur sollte man sich als neuer Autor lieber mehr Zeit nehmen, um den Text zu verbessern, als vorschnell etwas einzusenden. Das kann eine vertane Chance sein, und das wäre schade drum.

Wie sieht Ihr Tätigkeitsfeld aus? Wählen Sie aus und beraten? Bleibt noch Zeit für ein ausführliches Lektorat oder werden die Manuskripte von einem außenstehenden Lektor korrigiert?

Manche glauben, man brüte als Lektor den ganzen Tag mit gespitztem Bleistift über dem Manuskript. Die Wahrheit ist, dass man das hauptsächlich abends und am Wochenende tut. Die Programmplanungen, Vertragsverhandlungen, Briefings, Konferenzen und sonstigen Termine nehmen den größten Raum im Alltag ein. Man verfolgt ja gemeinsam mit den anderen Abteilungen das Manuskript vom Posteingang bis zum gedruckten Buch, und zwar durch alle Zwischenstadien, von der Akquise über die Redaktion bis zu Titelfindung, Klappentext, Cover und Vertretersitzung. Da steckt viel Organisationsarbeit, aber auch viel Abwechslung drin. Was die Bearbeitungen angeht, so bringen einige Autoren, gerade wenn sie zu Piper wechseln, ihren Außenlektor mit, mit dem sie schon seit Jahren erfolgreich zusammenarbeiten. Andere wiederum redigiere ich selbst. Insgesamt gesehen trifft es schon zu, dass der Lektor zum Produktmanager geworden ist. Das Schöne ist, dass es dabei nicht um einen Satz Schrauben geht, sondern stets um ein Buch.

Was sollte ein Lektor mit sich bringen, um mit den unterschiedlichsten, oftmals sehr sensiblen Autoren zusammenarbeiten zu können?

Ein gewisses Einfühlungsvermögen sollte man schon haben. Das Wichtigste ist aber, dass man den Autor und sein Anliegen versteht und respektiert. Wenn man in engem Kontakt mit Autoren steht, weiß man relativ schnell, wie der- oder diejenige „tickt“. Das hilft über manche Schwierigkeiten hinweg und klärt so manches überflüssiges Missverständnis. Dazu muss ich sagen, dass Fantasy-Autoren grundsätzlich außerordentlich sympathische und konstruktive Zeitgenossen sind. Die gewisse Verschworenheit und das Zugehörigkeitsgefühl zu unserem Lieblingsgenre machen da sehr viel aus.

Sie haben u.a. Lesungen der Autoren Markus Heitz und Christoph Marzi moderiert. Gehören solche „Nebentätigkeiten“ zu Ihrem Job grundsätzlich dazu oder verpflichten Sie sich hier eher aus Freundschaft und Spaß an der Sache?

Es kommt regelmäßig vor, dass man wegen solcher Moderationen gefragt wird. Wenn es terminlich passt, mache ich es gerne. Ich bin schon der Meinung, dass es dazu gehört, den Autor, mit dem man sehr intensiv an einem gemeinsamen Erfolg arbeitet, auch nach außen hin zu begleiten oder zu unterstützen. Davon abgesehen macht es auf jeden Fall großen Spaß. Ab und zu mache ich auch Seminare für Buchhändler oder Buchhandelsklassen zum Thema Fantasy und Phantastik. Gerade in diesem Bereich, dem viele noch immer mit spitzen Fingern begegnen, ist es wichtig, im persönlichen Gespräch Informationen zu vermitteln und Vorurteile über das Genre abbauen zu können.

Es gibt Leser, die den so genannten »Abklatsch« des Herrn der Ringe nicht mehr sehen können. Und natürlich gibt es genau so viele oder auch mehr, die hoch erfreut über weitere Bücher sind, in der dieselbe Thematik unterschiedlich behandelt wird. Handeln Sie bei der Auswahl der Manuskripte nach Stil oder Nachfrage? Gehen Sie gezielt auf Autoren zu oder warten Sie ab, was Ihnen zugesandt wird?

Fantasy ist kein lächelnd beäugter Nischenmarkt mehr, sondern ein bedeutender Umsatzfaktor für die Verlage geworden. Zugleich ist die Fantasy eine der kreativsten und leidenschaftlichsten Sparten der Literatur, ein Genre mit ganz eigenen Gesetzen und hoher Verantwortung gegenüber den Fans – das alles unter einen Hut zu bringen, muss der Anspruch eines guten Fantasy Programms sein. Natürlich wollen wir in den Bereichen, die besonders viele Anhänger finden, neue Romane bieten. Das erwarten die Leser von uns, und zwar zu Recht. Im Idealfall prägt man als Verlag diesen oder jenen Trend selbst mit.

So wie ich aber persönlich die Abwechslung im Lesestoff mag, kommt es mir auch darauf an, dass verschiedene Aspekte ausgewogen im Programm erscheinen. Das gilt für ernste wie heitere Stoffe, düstere und literarische, Romane für weibliche wie männliche Leser. Es hängt dann vom Einzelfall ab, ob man Autoren gezielt anspricht oder eher nach angebotenen Stoffen entscheidet. Grundsätzlich möchte ich jedenfalls ein Manuskript vollständig in der Hand haben, bevor ich über einen Vertrag spreche, denn gerade mit dem Ende steht und fällt oft der ganze Roman. Dort entscheidet sich, wie man das Buch in Erinnerung behält, ob man es aufbewahrt, weiterempfiehlt oder wegschmeißt. Daher kann ich den Autoren nur raten, was Andreas Eschbach mal gesagt hat: »Nur der Roman, den du zu Ende schreibst, bringt dich weiter!«

Gibt es bereits besondere Bücher, die in naher Zukunft veröffentlicht werden und auf die Sie an dieser Stelle gerne hinweisen möchten?

Im Herbst 2007 freue ich mich auf ganz besonders hochkarätige Autoren in unserem Hardcover Programm: Terry Pratchett veröffentlicht bei uns – weltweit exklusiv – seine erste vollständige Sammlung von Erzählungen, Essays und Possen über die Scheibenwelt, andere magische Universen und den Alltag als Superstar. Auch ganz neue, unveröffentlichte Storys sind in dem Band »Der ganze Wahnsinn« enthalten. Wolfgang Hohlbein schreibt uns mit »Unheil« den unheimlichsten Vampir-Roman des Jahres. Und abseits des klassischen Genres haben wir etwas für Fans von Andreas Eschbach, Thomas Thiemeyer und Douglas Preston/Lincoln Child: In dem phantastischen Thriller »Die Dunklen« ist Ralf Isau dem Geheimnis eines verschollenen Musikstücks auf der Spur, dessen Macht die Welt in den Abgrund reißen kann. Das Buch legt man nicht aus der Hand, bevor man es durchgelesen hat – es hat übrigens ein tolles Ende!

Was mögen Sie besonders an Ihrer Arbeit?

Die immer neuen Herausforderungen eines Arbeitstages.

Und was nicht?

Die immer neuen Herausforderungen eines Arbeitstages.

Wie entspannen Sie nach der Arbeit?

Da mich Fantasy und Science Fiction seit Kindertagen begeistern, kann man dem im heimischen Bücherregal nur schwer entkommen. Ich lese aber auch viele Krimis, Wissenschaftsthriller und Sachbücher zur politischen Zeitgeschichte. Wenn gar nichts mehr geht, helfen Calvin & Hobbes oder Tim & Struppi, das schont die Augen. Außerdem bin ich sehr an Filmen interessiert, höre viel Musik und bin derzeit auf der Suche nach einem anständigen Plattenspieler.

Welche Ziele haben Sie sich gesetzt – beruflich wie privat?

Später zurückblickend wie Udo Jürgens sagen zu können: »Ich würd’ es wieder tun.«

Vielen Dank für das interessante Interview!

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Webtipps:

Dieses Interview steht online auch auf:

  • www.piper-fantasy.de

© Text: Nicole Rensmann
© Foto: Carsten Polzin

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