Eine kleine Geschichte zum 24. Tag des Monats: Frohe Weihnachten!

Frohe Weihnachten!

Frohe Weihnachten!

Kurze Erzählungen, nicht länger als eine Seite, so wünschte sich ServusTV die Geschichten für den Weihnachtswettbewerb 2014. Zahlreiche Gedichte, Gedanken und Erzählungen wurden eingesandt. Für meine Geschichte fand ich kein schnelles Ende und zerbrach sie in zwei Teile. Heute, am Heiligen Abend, schenke ich sie dir – wieder zusammengefügt, denn so klingt sie am Schönsten. Zum Lesen, Vorlesen, Weitererzählen.

Ich wünsche dir und deinen Lieben wundervolle Weihnachten, bunte Päckchen, große Kinderaugen und das eigene kindliche Gefühl der weihnachtlichen Freude Gemütlichkeit für zwei, drei Tage zurück.

 

Nicole Rensmann

Endlich Weihnachten!

Sobald sich die Wege trennten, umarmten wir uns. Keine Tränen, nur glückliche Gesichter. Wir winkten uns in diesem Jahr ein letztes Mal zu oder bewarfen uns jauchzend mit Schnee.

Sobald sich die Wege trennten, umarmten wir uns. Keine Tränen, nur glückliche Gesichter. Wir winkten uns in diesem Jahr ein letztes Mal zu oder bewarfen uns jauchzend mit Schnee.

Den letzten Worten der Lehrerin vor den schönsten Ferien im Jahr lauschten wir nicht mehr. Wir tuschelten und erzählten unsere Wünsche und Hoffnungen für den Heiligen Abend. Und die Kinder, die nicht mit dem Nachbarn schwatzten, starrten aus den Fenstern und blickten den Schneeflocken nach, die sanft zu Boden rieselten. Sie träumten von bunten Päckchen, süßem Gebäck und herrlichen Düften, die an den Weihnachtstagen durchs Haus zogen. Als die Schulglocke schellte, sprangen wir alle gleichzeitig auf und stürzten aus dem Gebäude.

Sobald sich die Wege trennten, umarmten wir uns. Keine Tränen, nur glückliche Gesichter. Wir winkten uns in diesem Jahr ein letztes Mal zu oder bewarfen uns jauchzend mit Schnee. Alle freuten sich auf die bevorstehende feierliche Zeit. Weihnachten.

Obwohl das Wetter im Dezember die kältesten Temperaturen bot, gehörte diese Zeit zu der wohlig-wärmsten im Jahr. Kam ich durchgefroren nach Haus, stand meine Mutter schon stundenlang in der Küche und bereitete Kuchen und Brot für die nächsten Tage vor. Es duftete verführerisch nach Zimt, Marzipan und anderen Leckereien. Naschen war nicht erlaubt. All diese Gerüche und der Gedanke an meinen Opa, der uns zur Weihnachtszeit besuchte, schürten die Vorfreude auf das große Fest. Eine Woche voller Unterhaltung, denn Opa erzählte spannende Geschichten, die von Feen und Räubern handelten, von sprechenden Bären oder verzauberten Pinguinen. Damit begeisterte er an manchen Abenden die gesamte Familie. Und uns Kindern nahm er die Aufregung vor der Bescherung.

Neigte sich der 24. Tag im Dezember zum Abend hin, zündeten die Erwachsenen die Kerzen an, ein kleines Glöckchen läutete und die Familie versammelte sich um den Weihnachtsbaum. Wir sangen Lieder, nicht melodiös, aber voller Glück. Tannenduft hing betörend in der Luft und die Flut an Geschenken unter dem bunt geschmückten Baum verursachte Herzklopfen. Freude vermischte sich mit Wehmut, endlich war der lang ersehnte Tag da, und sollte schon morgen vorüber sein. Aber nicht für mich. Die Cousinen und Cousins kehrten nach dem opulenten Mahl mit ihren Eltern nach Hause zurück. Mein Opa blieb bis zum neuen Jahr, er nahm sich ein paar Tage Zeit – nur für mich.

Es duftete verführerisch nach Zimt, Marzipan und anderen Leckereien. Naschen war nicht erlaubt.

Es duftete verführerisch nach Zimt, Marzipan und anderen Leckereien. Naschen war nicht erlaubt.

Früh am Morgen nach Heiligabend, die Eltern schliefen fest, die Frühstückszeit lag mindestens zwei Stunden entfernt und draußen dämmerte es noch nicht, kletterte ich zu meinem Opa ins Bett. Mit neun Jahren durfte ich das. Opa war schon wach, wenn ich zu ihm schlich. Jeden Morgen, jedes Mal. Er lüftete seine Bettdecke, ich schlüpfte schnell darunter und vertrieb die Kühle, die sich um meine Schultern geschlungen hatte, als ich von meinem Zimmer durch den kalten Hausflur zum Gästezimmer gehuscht war.

Dann erzählte Opa mir eine Geschichte, und sie begann stets mit: Es war einmal.

Es war einmal ein Junge, so wie du. Als er das sagte, stupste Opa mich in die Seite. Nun, er war ein bisschen älter, erzählte Opa weiter. Zwölf Jahre, aber von kleiner Statur. Dieser Junge hatte blonde, lockige Haare, die ihm bis über die Schultern fielen. In der damaligen Zeit war das mutig. Seine Klassenkameraden trugen ihre Haare kurz, nie länger als knapp über dem Hemdskragen, doch die blonden Haare des Jungen reichten weit darüber hinaus. Er dachte sich nichts dabei. Als er noch jünger war, achtete niemand auf ihn. Mit zwölf, ein junger Mann, nahm die heranwachsende Dorfjugend sich gegenseitig in Augenschein. Und ihn lachten alle aus.

Da kommt der Junge mit dem Engelshaar, riefen sie hinter ihm her. Oder Mädchen! Mädchen! und bewarfen ihn mit Schnee – nicht aus Spaß, sondern mit Wucht, dass es schmerzte und er blaue Flecken an den Schienbeinen davon trug. Einmal haben die anderen den Jungen festgehalten und ihm Schnee ins Gesicht gerieben. Die kalten, spitzen Eiskristalle schnitten in seine Haut und hinterließen hauchdünne Kratzer.

... und bewarfen ihn mit Schnee – nicht aus Spaß, sondern mit Wucht, dass es schmerzte und er blaue Flecken an den Schienbeinen davon trug.

… und bewarfen ihn mit Schnee – nicht aus Spaß, sondern mit Wucht, dass es schmerzte und er blaue Flecken an den Schienbeinen davon trug.

»Das ist gemein«, rief ich dazwischen und Opa nickte ernst.
»Was war das für eine Zeit?«
»Da gab es dich noch nicht, und ich war noch jung.« Er zwinkerte mir zu.
»Und was hat der Junge gemacht?«
»Nun, er war natürlich sehr traurig.«
»Aber warum hat er sein Haar nicht kürzer getragen. Dufte er das nicht?«
»Nun frag nicht so viel. Hör zu.«

Und Opa erzählte: Alle Jungs im Dorf hänselten ihn. Nur die Mädchen blieben manchmal stehen und bewunderten sein Haar, das sie selbst gerne gehabt hätten. So blond und glänzend. Neidisch wandten sie sich von ihm ab. Eines Tages, als seine Eltern nicht zu Zuhause waren – sie arbeiteten in der Kirche, solltest du wissen – schnitt er sich die Haare ab. Schnipp. Schnapp.

Opa machte eine schneidende Handbewegung mit Zeige- und Mittelfinger und durchtrennte die Luft.

Am nächsten Tag, glaubte er, würden seine Mitschüler ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfen. Doch er irrte. Jetzt verspotteten sie ihn wegen des fehlenden Blondschopfs. Warum mochten die anderen ihn nicht? Er selbst wusste sich keine Antwort darauf und fragte seine Oma, die im gleichen Haus in der unteren Etage wohnte. Sie buk einen Weihnachtsstollen und hatte nicht nur Mehl an der Schürze, sondern auch im Gesicht. Sie lächelte ihn an, als er zu ihr trat und lauschte seiner Frage. Überlegen musste sie nicht. »Weil du besonders bist. Du leuchtest von innen, aber das sehen sie nur an einem einzigen Tag im Jahr – weil die Menschen blind sind, auch wenn sie eine Brille tragen.« Das waren ihre Worte. Der Junge verstand sie nicht und glaubte auch nicht, dass er besonders sei.

Als er am nächsten Morgen erwachte, es war der Heilige Abend, verstand er die Worte seiner Oma. Sein Haar, am Abend zuvor raspelkurz, hing ihm in goldblonden Locken über die Schultern.

»Du meinst, ihm sind seine Haare in einer Nacht nachgewachsen?«

»Das erzähle ich dir morgen. Zeit fürs Frühstück. Wo ist der Kaffee? Und diese leckeren Plätzchen deiner Mutter, die möchte ich dazu. Mindestens einen Teller voll.«

»Das erzähle ich dir morgen. Zeit fürs Frühstück. Wo ist der Kaffee? Und diese leckeren Plätzchen deiner Mutter, die möchte ich dazu. Mindestens einen Teller voll.«

Opa nickte. »An diesem Tag hatte die Schule geschlossen. Viele Dorfbewohner bereiteten sich auf den festlichen Abend vor und würden sich in der Kirche treffen. Der Junge weigerte sich zunächst, mit seinen Eltern und seiner Oma zur Kirche zu gehen. Doch als er in dem Haus zurückblieb, fühlte er sich allein. Und so folgte er seiner Familie, eingehüllt in einer dicken Jacke, mit gefütterten Stiefeln und Handschuhen an den Fingern. Seine Haare versteckte er unter einer Mütze. In der Nacht hatte es kräftig geschneit und vorweihnachtliche Stille legte sich über die verschneiten Dächer, die wie mit Watte eingebettet aussahen. Nur wenige Menschen begegneten ihm, sie sahen ihn seltsam an. Keiner verlor ein böses Wort. Auch ein paar Kinder aus seiner Klasse liefen an ihm vorbei. Sie blieben stehen und blickten ihm nach. Der Junge spürte eine Welle voller Glück durch seinen Körper rauschen, die ihn antrieb schneller zu laufen.

»Wusstest du, dass Glück nach warmem Kakao schmeckt?«, fragte mich Opa.

Ich schüttelte den Kopf und meinte: »Vielleicht hätte der Junge immer eine Mütze tragen sollen.«

Mein Opa stupste mit dem Zeigefinger auf meine Nasenspitze. Naseweis.

Als der Junge die Kirche betrat, wo seine Eltern, die Oma und das halbe Dorf versammelt den Heiligen Abend einläuten und das Weihnachtsfest beginnen wollten, drehten sich alle zu ihm um. Für einige Sekunden herrschte Stille. Es war so leise, dass der Junge den Schnee auf seinen Stiefeln schmelzen hörte.

Dann erhob sich die Gemeinde, die Gesichter zu ihm gewandt. Der Junge trat einen Schritt zurück, so viel Aufmerksamkeit erschien ihm befremdlich, bis er einen Blick auf sich selbst erhaschte: Er spiegelte sich im Kerzenlicht eines bodentiefen Kirchenfensters. Seine Mütze leuchtete. Durch die Maschen des Strickgarns drückten sich goldfarbene Strahlen. Er riss die Mütze vom Kopf und erhellte den gesamten hinteren Bereich der Kirche. Die Menschen riefen „Oh“ und „Ah“, manche klatschten in die Hände. Niemand lachte.

Frohe Weihnachten!

Frohe Weihnachten!

»War der Junge ein Weihnachtsengel?«

Opa nickte. Ich wollte es genauer wissen: »Echt? Gibt es das denn?«

Opa nickte weiter.

»Woher weißt du das?«

Er drehte sein Gesicht zu mir und lachte mich verschmitzt an. Für einen kurzen Moment glaubte ich, sein graues Haupt erwache zu einem goldblonden, langhaarigen Lockenkopf. Er strahlte. »Du?«, platzte es aus mir heraus. Opa antwortete nicht.

»Aber Opa, was passierte mit dem Jungen nach Weihnachten? Haben die anderen ihn wieder gehänselt? Erzähl doch weiter.«

»Das erzähle ich dir morgen. Zeit fürs Frühstück. Wo ist der Kaffee? Und diese leckeren Plätzchen deiner Mutter, die möchte ich dazu. Mindestens einen Teller voll.« Liebevoll schubste er mich über die Bettkante. Ich quietschte vergnügt. Mein Opa war besonders, aber das hatte ich schon immer gewusst.

Schöne Weihnachten!

Mach es wie die Gebrüder Grimm: Erzähl es weiter.