KOLUMNE: Offener Brief an die Welt des Buchmarkts

NR-Logo https://nicole-rensmann.deLiebe Leute!
Ihr lasst euch erpressen? Ernsthaft? Wieso denn?
Liebe Verlage!
Müsstet ihr nicht dafür sorgen, dass Autoren sich im Verlag wohlfühlen, sie umschwärmen und ein bisschen bauchpinseln und die Bücher gut bewerben, damit diese gut verkauft werden – die Bücher, nicht die Autoren? Ist es nötig, den Verkauf auf einen einzigen Anbieter zu beschränken?
Wer ist denn amazon? Amazon ist ein Unternehmen. Sonst nichts. Unternehmen sind austauschbar und keinesfalls unentbehrlich. Macht mein Elektriker Mist und lässt mich wochenlang im Dunkeln sitzen, suche ich mir einen neuen.

Sicher, amazon bietet Ware günstiger an. Aber Bücher unterliegen der Preisbindung, die kann ich ohne Verlust überall kaufen – als Konsument. Und als Autor weiß ich, der Leser hat keine Verluste, wenn er bei einer anderen Buchhandlung kauft.
Natürlich, amazon hat ein umfassendes Angebot und es ist praktisch, Babywindeln, Katzenfutter, Gummibärchen und den nächsten Thriller von Bestsellerautor XY einzupacken. Doch kriege ich letzteres nicht, hole ich mir das Buch eben woanders. Oder nicht?

Erpressen? Lasse ich mich nicht. Macht? Nein, amazon hat keine Macht über mich. Amazon kann auf mich verzichten. Klar. Ich aber auch auf amazon. Und wenn ich es kann, können es 500, 1000, 100.000 andere auch. Manches wird nicht mehr so bequem sein, aber es erschließen sich vielleicht neue Erkenntnisse, und eröffnen sich neue Möglichkeiten. Aber will ich auf amazon verzichten? Will ich das wirklich? Ja. Und Nein. Aber ICH entscheide und lasse mich nicht von Petitionen oder dem aktuellen Aufschrei beeinflussen.

Der Autor – die Geisel von wem?

Amazon nimmt Autoren als Geiseln? Wirklich? Ist es nicht viel mehr so, dass der Verlag die Autoren als Mittel einsetzt? Also, ich bin nicht erpressbar und lass mich auch nicht als Geisel einsperren. Ich bin ein freier Mensch und beschränke mich nicht auf ein einziges Kaufhaus im Internet – sowohl als Autorin, als auch als Konsument. Wer das macht, erscheint mir handlungsunfähig, und das ist eher ein Skandal – ein trauriger.
Da kämpfen Organisationen für einen fairen Buchmarkt, dabei ist der Buchmarkt mit oder ohne amazon noch nie fair gewesen.

Nischenverlage haben noch immer kaum die Möglichkeit, in einer Buchhandlung mit ihrem Programm aufgenommen zu werden, weil die Konzerne und manche Buchhandlungen sich die Präsentiertische teuer bezahlen lassen. DAS ist ein Skandal.
Autoren müssen selbst Werbung machen und diese aus eigener Tasche bezahlen.
Das ist ein Skandal!
Autoren müssen Lesereisen selbst bezahlen.
Das ist ein Skandal!
Autoren erhalten keine bis kleine Vorschüsse.
Das ist ein Skandal!
Autoren werden auf die Straße gesetzt, wenn ein Buch mal nicht so erfolgreich war.
Das ist ein Skandal!
Erfolgreiche Bestsellerautoren dürfen nicht mal ein literarisches Experiment wagen. Das lehnt der Stammverlag ab. Da fehlt es an Vertrauen. Das ist ein Skandal!
Piraten klauen die E-Book-Dateien und bieten sie auf Plattformen an – gegen Geld oder kostenlos. Der Autor bekommt dafür nichts. Niemand ändert etwas daran.
Das ist ein Skandal!
Autoren klauen Ideen von anderen Autoren und behaupten, es seien ihre eigenen – und bekommen trotzdem Verträge und große Presse.
Das ist ein Skandal.

Missstände gibt es viele im Buchmarkt, aber amazon ist nur ein Nebenschauplatz – einer, der rausgestrichen werden kann. Natürlich, Passagen aus einem Buch zu streichen ist schmerzhaft, sie in der Wirtschaft zu ändern auch. Aber es ist möglich, es braucht nur ein bisschen Ideenreichtum.

 

Fair ist nicht gleich fair

Der Buchmarkt ist nicht fair, aber das liegt sicherlich nicht an amazon. Bei allem Respekt. Für einen fairen Buchmarkt müsste sich mehr verändern, als die Beziehung zwischen amazon und den Verlagen.
Autoren als Geiseln von amazon? Kompliment an amazon: Sie haben es geschafft. Nun hat amazon die Bestätigung, wie geil es ist. Einknicken? Nach all dem Aufsehen wird amazon jetzt an seinen Forderungen erst recht festhalten. Energie verschwendet. Sehr schade.

Wir sind frei und können auch so handeln. Alternativen für Kauf und Verkauf zu suchen wäre wohl der bessere Weg, anstatt Kraft ins Schreien zu investieren. Die Verbraucher gewöhnen sich schon daran und nehmen es mit der Zeit an – vermutlich schneller als amazon es lieb ist.
Viele Leser kaufen Bücher nicht im Internet. Das ist keine Studie, sondern basiert auf Anschreiben und Gesprächen bei Lesungen. Diejenigen, die im Internet kaufen, finden auch eine andere  Alternative, die Bücher zu bestellen – auch ohne amazon. Da bin ich mir sicher, denn Leser sind nicht blöd. Ich vertraue Ihnen.

Lasst den Konzern links liegen und verwendet erst den Mittelfinger, dann alle anderen, um Anfragen und Angebote zu tippen. Sucht Kooperationen mit anderen Händlern und erschließt neue Verkaufs- und Vermarktungsmöglichkeiten. Dahin sollte der Weg gehen, nicht auf eine Protestaktion, die Zeit kostet und nur anderen Geld in die Tasche spült. Probiert doch mal was Neues.
Die Welt dreht sich nicht um amazon allein. Aber auch nicht um einen einzigen Verlag.
Und ich wette: Wird die amazon-Alternative gefunden und wächst diese im Laufe der Zeit zu der amazon-Dimension heran, geht das Spielchen von vorne los, weil hier nicht amazon allein das Problem darstellt.

Wer etwas ändern will, der sollte nicht gegen etwas sein, sondern sich und sein eigenes Verhalten verändern. Das ist schwieriger, aber am Ende effektiver.

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