Kolumne: Das Smartphone – der virtuelle Lebensersatz

BadezimmerDas Smartphone wird zum stetigen Begleiter. Ständig online sein, überall und in jeder Lebenssituation Mails abrufen und aktuelle Nachrichten  lesen zu können, scheint für viele Menschen die neue Lebensqualität auszumachen. Eine Qualität jedoch, die das Leben dauerhaft erschwert, ja sogar stresst und einen Großteil der Realität verbannt und den Menschen blind für das Wesentliche werden lässt. Burn-Out wegen der Überforderung am Arbeitsplatz? Wie viele haben parallel gechattet, gesurft, gefacebookelt und ausgiebig gezwitschert  – während der Arbeitszeit? Das Gefühl nichts verpassen zu dürfen, ständig antworten und sich virtuelle Streicheleinheiten holen zu müssen, überfordert dauerhaft jeden. Selbst auf der Toilette muss mal eben nach den Nachrichten geschaut oder die Mails abgerufen werden. Und auch die Kleinsten lernen, wie wichtig es zu sein scheint, ständig online und erreichbar sein zu müssen.

Mama, das Smartphone und ein Kind

Es war einmal ein kleines Mädchen, das die Einkaufskörbe auseinander rupft. Ich schaue, ob es sich nicht klemmt, das könnte ja passieren. Sage jedoch nichts. Mama kann nicht. Mama muss Mails beantworten. Sie liest und tippt auf ihrem Smartphone und ist gebannt von ihrer virtuellen Welt. Dann schaut sie auf. »Mausi, lässt du das bitte.« Mausi hört. So lange bis Mama wieder tippt. Ich lächle. Alles gut. Mama bezahlt, Handy in der Hand. Mausi steht jetzt neben mir an der Kasse. Einkaufskorb raus, rein. »Schatzi, kommst du jetzt.« Schatzi kommt nicht. Ich bin dran, bezahle, packe meine Sachen ein. Mama schaut wieder auf ihr Handy, die Einkäufe sind noch nicht komplett eingepackt. Schatzi-Mausi wuselt zwischen den anderen Kunden herum.

Im Wartezimmer gibt es keine Einkaufskörbe, aber gelangweilte, quengelige Kinder, seit Mama und Papa Smartphones für sich, aber keine Spielsachen für die Kiddies Kinderwagen mit Smartphone-Babymitnehmen. Diesen Trend haben die Wartezimmer-Ausstatter erkannt. Die Spielecke wird verkleinert oder wegrationalisiert. Ersatz schafft ein übergroßer Flachbildschirm an der Wand. Informationen über die Arztpraxis, Tierfilme und aktuelle Nachrichten flimmern darüber. Ständige Information. Überreizung inklusive. Doch gibt es eine Spieleecke, dann spielen die Kinder gerne dort. Sie bauen phantasiereiche Konstruktionen und bitten um Aufmerksamkeit: »Mama, schau mal. Mama guck mal. Mama, ist das nicht toll?« Doch Mama kann nicht, Mama muss bei Facebook posten, dass sie jetzt im Wartezimmer sitzt, sie muss sich Fotos anschauen, ein lustiges youtube-Video ansehen oder unbedingt jetzt eine Mail verfassen. Warum eigentlich?

Ein letztes Beispiel, von zahlreichen selbst beobachteten. Ein ca. 10 Monate altes Kind liegt in seinem Kinderwagen. Mama schiebt den Wagen mit einer Hand vor sich her. Das Kind gickert und lacht, es brabbelt und erzählt. Mama sieht es nicht. Mama nimmt es auch nicht richtig wahr, denn Mamas Verstand, ihre Augen und ihre Wahrnehmung sind im Internet unterwegs.

Freiraum nutzen mit Kind und Smartphone

Das Wartezimmer ist perfekt dafür, dass Eltern ihrem Kind uneingeschränkte Aufmerksamkeit schenken. Eine gemeinsame Muss-Zeit, die wunderbar genutzt werden kann. Ein mitgebrachtes Buch lesen, zusammen Legosteine bauen, eine Geschichte erzählen, ein beruhigendes Lied ins Ohr summen oder kleine Mitbringspiele sind ideal für die langweilige Zeit im Wartezimmer – für alle Seiten. Und ja, die stundenlange Wartezeit kann auch dann mit einem Handyspiel überbrückt werden – das spielt natürlich das Kind, sofern es alt genug dazu ist.

Kinder brauchen ab und an einen Daumen hoch, aus Fleisch und Blut. Sie benötigen Aufmerksamkeit und nicht die Gewissheit, dass ein Smartphone wichtiger ist und die Welt im Internet so viel interessanter zu sein scheint, als sie selbst es sind. Kinder sind die Welt.

Das Smartpohne – ein Lebenskiller in allen Lagen?! oder „Von der Angst was zu verpassen“

Doch es sind nicht nur Mütter und Väter, die mit ihren Kindern durchaus pflichtbewusst zum Arzt gehen, das virtuelle Privatleben oder das Büro jedoch nicht zu HauseRendezvouz lassen können. Das Smartphone beim ersten Date ist der Tod jeder Romanze. Chatten während eines wichtigen Beziehungsgesprächs? Dann kann die Beziehung nicht viel wert sein. Ständig on, auch im Bett? Oh, bitte nicht. Soziale Netzwerke besuchen während eines Spaziergangs? Und du verpasst die Welt.

Die Menschen haben Angst, den hippesten Trend, die neueste Aktion, das witzigste Babylachen-youtube-Video oder einen Daumen nach oben zu versäumen, und merken dabei gar nicht, dass sie ihr Leben, ihre Liebe vernachlässigen und die Entwicklung Ihres Kindes verpassen. Das Lachen des eigenen Kindes ist das Schönste auf der Welt, schöner als das Klicken von Fingernägeln auf dem Glas des Phones. Und so viel einzigartiger, als das Lachen eines fremden Babys auf einem youtube-Video.

Das Fazit: Nicht immer und überall on bereichert

Wie sehr würde ich mich ärgern, wenn ich die ersten Kunstwerke meines Kindes verpasst hätte, nur weil ich mit meiner Freundin über den Frisörbesuch chatten muss. Und meine eigenen Vorwürfe würden mich in den Selbstmord treiben, wenn ich meinem Kind nicht helfen konnte, als es sich an einem Brötchen verschluckte, und das nur, weil ich mich nicht schnell genug virtuell verabschieden konnte. Was nützen all die vielen Beziehungsratschläge und Tipps im Internet für ein besseres Liebesleben, wenn sie nicht mit dem Partner besprochen oder ausprobiert werden können, weil das Smartphone oder der Laptop zwischen Mann und Frau steht? Ein ausgewogenes Leben ist in allen Bereichen wichtig. Aber, zugegebenermaßen, bei dem Überangebot an elektronischen Medien schwer zu praktizieren. Doch Umdenken bringt Mehrwert ins reale Leben.

Ich habe kein Smartphone, ich will auch keins. Ich habe ein altes Handy, das ich nur für den Notfall verwende. Ein Notfall bedeutet ein Autounfall, der Absturz eines Flugzeugs, ein Amoklauf oder ein gebrochenes Bein, ein Feuer, ein Todesfall. Notfall bedeutet: Hilfe!

Keine E-Mail, kein Posting, keine Info kann so wichtig sein, dass ich sie lesen muss, wenn ich mit meiner Familie essen gehe, mir einen Cappuccino im Café gönne oder einen Film im Kino ansehe. Ich brauche keine virtuellen Informationen und auch keine Anrufe, wenn ich einkaufen gehe. Nichts kann so wichtig sein – abgesehen vom besagten Notfall – dass es nicht Zeit hat, bis ich wieder am Schreibtisch sitze. Ich telefoniere auch nicht, wenn ich Fernsehen schaue, und der Laptop hat im Wohnzimmer sowieso nichts zu suchen. Entweder – oder, mit voller Konzentration voraus.

In diesem Sinne: Schau dir mal wieder das Lachen deines Kindes an oder tief in die Augen deines Partners. Realität kann so entzückend sein.


Webtipps zum Thema: 

  • Der Stern nimmt sich in der Ausgabe Nr. 10 vom 27.02.2014 – also beinahe ein Jahr später als dieser Eintrag – dem Thema an „Schalt doch mal ab!“ (Link existiert nicht mehr, Juni 2015)
  • Zwei Jahre nach meinem Eintrag – im März 2015 – beginnt in Frankfurt zu diesem Thema eine Kampagne, erzählt der rga. (Nur für registrierte Nutzer lesbar)

 

© Grafiken, Fotos, Text: Nicole Rensmann
© Grafiken basieren auf Cliparts von Microsoft Corporation, verändert und bearbeitet durch PC&Büro Service Rensmann.
Auszeichnung „Autorin des Tages“ (06.03.2013) bei Paperblog mit „Das Smartphone – der virtuelle Lebensersatz“ 

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